: O heilige Einfalt!
■ Ironie der Geschichte: Mit ihrem Kochbuch wurde die Bremerin Betty Gleim weitaus erfolgreicher als mit ihren aufklärerischen Schriften
Als Betty Gleim 1806 in Bremen eine „Höhere Lehranstalt für Mädchen“ gründete, war sie 25 Jahre alt. Ungefähr fünf Jahre später entstand ein Porträt von ihr, das Bild eines unbekannten Malers, das heute im Focke-Museum hängt. Der Ausdruck der jungen Frau vermittelt Sensibilität und Selbstbewußtsein, keineswegs selbstverständlich für das Erziehungsideal jener Zeit. „Die Natur wollte das Weib zu keinem selbständigen Wesen schaffen“, hieß es etwa in der 1787 erschienenen Schrift „Über die Weiber“ von Ernst Brandes.
Schon 1762 forderte Jean-Jac-ques Rousseau in seinem Erziehungsroman „Emil oder über die Erziehung“, daß Mädchen in Hinblick auf die spätere emotionale Versorgung des Mannes erzogen werden müßten. War dies bereits ein deutlicher Rückschritt gegenüber den emanzipatorischen Errungenschaften der Frühaufklärung, so wurde die Frau im späten 18. Jahrhundert mit immer krauseren Begründungszusammenhängen definiert. Pädagogik, Medizin, Philosophie, Theologie – alle Wissenschaften hatten das Ihre parat, was die Frau zu sein habe.
In der französischen Republik besaßen gemäß der Konventserklärung von 1793 Irre, Minderjährige, Kriminelle und Frauen kein Bürgerrecht. Als Olympe de Gouges das Bürgerrecht für Frauen einklagte, mußte sie dies mit dem Gang zum Schafott bezahlen, sie wurde für wahnsinnig erklärt.
So radikal wie Olympe de Gouges oder auch die Engländerin Mary Wollstonecraft war Betty Gleim nicht, im Gegenteil, die Frau sollte nicht „mit trotziger Stirn und hochfahrenden Augen einherschreiten“, sondern immer schön sittsam bleiben. Nicht Kampfbereitschaft, sondern Tugend und Moral prägten ihre Vorstellungen. Doch darf ihre Forderung „... man ertheile den Mädchen wie den Knaben eine Erwerbsbildung“ nicht in ihrer aktuellen Brisanz unterschätzt werden.
Denn Gleim ging davon aus, daß nicht jede Frau heiratet. Dies in der damaligen Zeit zu diskutieren und zu akzeptieren, war ein Novum, das Betty Gleim und ihre Schriften („Erziehung und Unterricht des weiblichen Geschlechts“, 1810; „Über die Bildung der Frauen und die Behauptung ihrer Würde in den wichtigsten Verhältnissen ihres Lebens“, 1814) schnell über die Grenzen Bremens hinaus berühmt machte. Gleim geht noch vom traditionellen Weiblichkeitsbild aus, wenn sie die „wissenschaftliche“ Ausbildung der Hausfrauen propagiert. 1787 werden etwa in einem Erziehungsentwurf Musik, Literatur und Philosophie noch als „entbehrliche, bloß vergnügende Kenntnisse“ gewertet.
Doch Betty Gleim wird nicht müde, gerade hierin qualifizierte Ausbildungen zu fordern, auch wenn diese „nur“ an die Kinder weitergegeben würden und nicht zum Erwerbsleben führten.Hier verlangte sie wohl zuviel; Querelen mit den Eltern führten 1812 zur Aufgabe der Schulleitung. Daß Betty Gleim auch für die Frauen glühende Vaterlandsliebe forderte, wird man ihr heute verzeihen: 1810 war Bremen von den Franzosen besetzt.
Betty Gleim hatte früh ihren Vater, einen Bremer Kaufmann, verloren, was möglicherweise ihren Kampf um eigene Berufstätigkeit begünstigte. Schon als junges Mädchen wollte sie mit Leidenschaft Lehrerin werden. Sie studierte die Schriften Pestalozzis, besuchte bekannte Erziehungsinstitute und eröffnete ihre „Bildungsanstalt für Mädchen“ und, 1819, eine zweite, die bedeutendste, „die in jenen Jahren geschaffen wurde“ (Elisabeth Bochmann).
Mittelmäßigkeit war ihr zuwider. „Meine Schwestern! Schwingt Euch hoch über alles, was niedrig heißt!“ ruft sie 1814 aus. Den damals üblichen Angriffen gegen lesende Frauen, die aufhören, „Weiber zu seyn“, die alles werden, nur nicht „Gattinnen ihrer Männer, Mütter ihrer Kinder und Vorsteherinnen ihrer Haushaltung“ (Johann Ludwig Ewald 1798), die „Nervenkranke“ sind (Annalen der Braunschweig-Lüneburgischen Churlande), antwortete sie: „Und eine gute Suppe kochen zu können sei mehr wert als alle Weisheit? O heilige einfältige Einfalt!“
Trotzdem schrieb sie 1808 ausgerechnet ein Kochbuch, zu ihrem Kummer ihr größter Bucherfolg. „Ganz Bremen kochte, backte und briet nach Betty Gleim“ (Hannelore Cyrus). Gleichviel: Im Nachhinein sind die „Jahre nach Betty Gleims ersten öffentlichen Auftritten als der Beginn der Frauenemanzipation zu bezeichnen“ (Hannelore Cyrus). Ute Schalz-Laurenze
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