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Nur für Erwachsene

In Osteuropa hat ein Wunsch Hochkonjunktur, und der heißt: Wir wollen in die Nato. Ungarn, Polen, Tschechen und Russen antichambrieren heftig, doch Amerika fürchtet die „unsicheren“ Staaten und hält nichts von einem Club-Beitritt.

Genf (taz) – Intern gilt Generalsekretär Manfred Wörner als Befürworter einer Aufnahme mittelosteuropäischer Staaten wie Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik und eventuell auch der Slowakei in den Nato-Club. Noch anläßlich einer Rede Mitte September in Stuttgart hatte er die Osterweiterung der transatlantischen Allianz als „Hauptthema“ des Brüsseler Nato-Gipfels im Januar 1994 angekündigt.

Doch Wörner erhielt bei seinen jüngsten Gesprächen in Washington einen Dämpfer, der ihn in seinen öffentlichen Äußerungen erheblich zurückrudern ließ. Es sei in dieser Frage „noch alles offen und noch überhaupt keine Vorentscheidung gefallen“. Der Brüsseler Gipfel werde „keine Entscheidungen treffen“. Auf irgendeinen späteren Zeitpunkt wollte sich Wörner nicht festlegen. Die Clinton- Administration – wie auch die Regierungen in London und einigen anderen Nato-Staaten – hat erhebliche Bedenken gegen eine Osterweiterung, weil damit Sicherheitsgarantien für die neuen Mitglieder verbunden wären.

Washington befürchtet die Übernahme „unwägbarer Verpflichtungen und Risiken“ im derzeit noch unstabilen und schwer kalkulierbaren Osteuropa. Diese Bedenken wurden durch die jüngsten Ereignisse in Rußland noch erheblich verstärkt. Bereits kurz vor den gewaltsamen Auseinandersetzungen in Moskau hatte die Regierung Jelzin auf Druck aus der Armeeführung ihr urprüngliches Okay für eine Nato-Aufnahme Ungarns und Polens zurückgenommen. Nachdem der russische Präsident seine innenpolitischen Gegner nur mit Hilfe des Militärs ausschalten konnte, müsse er sich für diese Unterstützung nun dankbar erweisen und – so die Analyse in der Clinton-Administration – könne daher einen Nato- Beitritt ehemals verbündeter Warschauer-Vertrags-Staaten noch weniger zulassen, als je zuvor. Die Nato gerät damit zunehmend ins Dilemma.

Denn die kleineren osteuropäischen Staaten äußern – ob berechtigt oder nicht, sei dahingestellt – mehr oder weniger starke Bedrohungsängste angesichts der großen Nachbarn Rußland und Ukraine. Doch die bisherigen Angebote der Nato – wie etwa der „Nato-Kooperationsrat“ – bleiben alle auf einer symbolischen Ebene und werden in Warschau, Budapest oder Prag zunehmend offen als reine Spielwiese ohne relevante Substanz bewertet. Die Enttäuschung in den osteuropäischen Staaten über die mangelnde Bereitschaft der Nato, wenn schon nicht die Vollmitgliedschaft, so doch wenigstens konkrete Sicherheisgarantien anzubieten, schlägt zunehmend in eine Renationalisierung der Sicherheitspolitiken um. Kostbare Ressourcen, die in den im Umbruch befindlichen osteuropäischen Volkswirtschaften noch viel dringender als im Westen für zivile Aufgaben benötigt würden, werden in die Aufrüstung und die Stärkung nationaler Streitkräfte gesteckt.

Immer deutlicher rächt sich der zentrale Fehler der letzten Jahre. Statt nach dem historischen Umbruch des Jahres 1989 mit aller politischen Energie auf die Schaffung und den Ausbau gesamteuropäischer Friedens- und Sicherheitsstrukturen zu setzen mit voller und gleichberechtigter Beteiligung aller osteuropäischen Staaten inklusive Rußland, verharrte der Westen in den historisch überkommenen Institutionen der Nato oder der Westeuropäischen Union (WEU).

Die heutige Debatte um eine Osterweiterung der Nato geht von falschen Voraussetzungen aus. Denn im Grunde halten Gegner wie Befürworter einer Erweiterung unter den 16 Mitgliedstaaten an der Fiktion fest, „der Westen“, zumal als Allianz zwischen Westeuropa und Nordamerika, bestehe auch nach dem historischen Umbruch von 1989 als gemeinsam handelndes Subjekt unverändert weiter. Verdrängt wird, daß Existenzbedingung dieses „Westens“ seit 1949 die Gegnerschaft zum sowjetisch geführten Ostblock war. Und daß sich die „westlichen“ Staaten in den hundert Jahren davor vielfach einander in einer Weise befehdet und bekriegt haben, die den aktuellen Kriegen in Ex-Jugoslawien oder auf dem Territorium der Ex-Sowjetunion in nichts nachsteht.

Folgerichtig konzentriert sich die bisherige Erweiterungsdebatte der Nato denn auch auf die osteuropäischen Länder, die sich noch zum katholisch-protestantischen Kulturkreis zählen lassen: Polen, Ungarn und die Tschechische Republik. Auf einem Seminar in Österreich machte der amtierende EG-Ratspräsident, Belgiens Außenminister Willy Claes, kürzlich unmißverständlich deutlich, wie sehr dieser Kulturkreis den Horizont „westlichen“ Denkens über Europa beschränkt. Rußland, Rumänien, Bulgarien, die Ukraine und Serbien seien bis heute unfähig, stabile Systeme der Demokratie und der Marktwirtschaft zu entwickeln, erklärte Claes. Die Ursache liege in den autoritären politischen Traditionen dieser Länder, die sämtlich zum vor über 500 Jahren zerstörten Byzantinischen Reich gehörten und in denen heute die Orthodoxie die führende Religion ist.

Auf die Frage, warum nicht auch über eine Nato-Mitgliedschaft Rumäniens, Bulgariens oder gar Rußlands diskutiert werde, antwortete Wörner in Washington zwar vorsichtiger als Claes, aber im gleichen Grundtenor. Der westlichen Allianz müsse an neuen Mitgliedern gelegen sein, mit denen die bisherigen 16 denselben Kulturkreis, dieselbe Geschichte, dieselbe Wertordnung und dieselben Überzeugungen teilten. Andreas Zumach

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