■ Zwei Jahre nach der Öffnung der Stasi-Akten ist die Gauck-Behörde aus den Schlagzeilen: Nur eine halbe Erfolgsgeschichte
Manchmal gehört auch das Abflauen öffentlichen Interesses zur Erfolgsgeschichte einer Institution. Zwei Jahre nach der Öffnung der Stasi-Akten jedenfalls darf allein schon die Normalität, in der die Gauck-Behörde ihren Auftrag erfüllt, als Bestätigung des beispiellosen Experimentes gelten. Die Hysterie des Anfangs hat sich als nicht besonders realitätshaltig erwiesen, die prognostizierten Rache-Exzesse sind ausgeblieben, und auch die Anfeindung der Behörde als Produzent gesellschaftlichen Unfriedens ist kaum mehr en vogue. Die schlagzeilenträchtige Enttarnung ist längst durch die unspektakuläre Akteneinsicht Tausender ehemaliger Untertanen abgelöst. Ein Abbruch dieser Möglichkeit ist, jenseits populistischer Vorschläge, die auf das weitverbreitete Unbehagen an der Aufarbeitung spekulieren, schwer vorzustellen. Einmal gewährt, ist das Recht, den von staatlicher Willkür verzerrten Teil der individuellen Biographie kennenzulernen, nicht rückholbar. Warum auch? Was in den Lesesälen der ehemaligen Stasi-Zentrale stattfindet, ist Staatsbürgerkunde der einprägsamsten Art. Sicherer jedenfalls als in der Konfrontation mit den Akten ist die gesellschaftliche Resistenz gegen autoritäre wie nostalgische Verlockung kaum zu fördern.
Dennoch wird aus dem Erfolg der Bürgerbewegung, die im Herbst 1990 die Öffnung der Akten gegen den politischen Ost-West-Konsens durchsetzte, keine Erfolgsgeschichte. Denn die Macht der Bürgerrechtler reichte gerade noch, der Gesellschaft den schnellen Schlußstrich zu verwehren und mit dem Erhalt der Akten zumindest die Möglichkeit der Aufarbeitung offenzuhalten. Dieser Zumutung haben sich die ehemaligen DDR-Bürger in ihrer Mehrheit entzogen. Die emphatisch vorgetragene Forderung nach Aufarbeitung der Vergangenheit prallte ab an der weitverbreiteten Unlust und scheiterte an der Vagheit aller Initiativen, die Auseinandersetzung mit der Geschichte zu institutionalisieren. Nie konnten die Oppositionellen von einst der gesellschaftlichen Mehrheit plausibel machen, warum der Blick in eine miese Vergangenheit zukunftshaltiger sein sollte als deren Verdrängung.
An der Perspektive der Gauck-Behörde wird das auf absehbare Zeit dennoch nichts ändern. Die monatlich zehntausend Antragsteller, die sich entgegen dem gesellschaftlichen Trend für die Hinterlassenschaft des Regimes interessieren, werden weiter in ihren Akten lesen können und die Wissenschaftler der Behörde werden noch über Jahre damit beschäftigt sein, die Unterdrückungspraxis der Staatssicherheit anhand ihres Nachlasses zu erforschen.
Politische Initiativen sind auf einem anderen Feld zu erwarten. Wie soll künftig mit den Stasi-Belasteten umgegangen werden? Zwar scheint der Ruf nach „Versöhnung“ vielen allein schon deshalb diskreditiert, weil er sich bruchlos in die allgemeine Verdrängungsbereitschaft einfügt. Doch umgekehrt ließe sich fragen, ob die fortdauernde Sanktionierung von Stasi- Verstrickungen einer Gesellschaft noch zusteht, deren Interesse an der Regimevergangenheit immer weiter abnimmt. Matthias Geis
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