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Nur ein Viertelstündchen

Ein Wort, das Aversion weckt: Sofakissen. Dabei hat fast jeder mindestens eines davon. Eine Ausstellung widmet sich der Kulturgeschichte dieses – mehr oder weniger – kuscheligen Wohnaccessoires

von JAN FEDDERSEN

Sein schlechter Ruf in aufgeklärten Kreisen kommt vom Handkantenschlag. Erst wurde es aufgeschüttelt, innerlich sortiert sozusagen, dann aufgestellt – und schließlich mit einem kräftigen Schlag akkurat zugerichtet. So viel Disziplinierung für ein vordem amorphes Etwas erregte Verdacht, Dressurverdacht.

Aber hat das Sofakissen diese üble Nachrede verdient? Immerhin ist es ein Accessoire, wie es generations-, geschlechts- und klassenübergreifender nicht noch einmal existiert. Jeder und jede verfügt über Sofakissen, liegen sie nun auf einer Couch, in einer Wohnlandschaft oder auf einem Futon. Manche haben sogar mehrere. Solche mit weicher, andere mit stabiler Füllung.

Die Existenz von Kissen auf Sitzmobiliar kann bereits für das Mittelalter nachgewiesen werden. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gehörten sie zur Ausstattung selbst des elendesten Arbeiterhaushalts. Ihre Funktion war überall die gleiche. Sie sollten es dem menschlichen Körper beim Liegen und Sitzen, Schlafen und Dösen bequemer machen. Kissen wurden immer als sehr persönliche Accessoires betrachtet – vielleicht auch, weil in ihnen der Geruch ihrer Nutzer (Haarspray, Aftershave, Furze, Parfum) eingeschweißt ist – und bleibt.

Womöglich war es dieser stofflichen Intimität wegen vielen Frauen ein Anliegen, gerade in den Fünfzigerjahren während der Wirtschaftswunderära, Kissen individuell zu gestalten. Sticken als weiblicher Massensport. (Männer stickten ja nicht, und Frauen haben diese Fähigkeit längst verkümmern lassen.) Thematisch bediente man sich damals gern bei Titelzeilen von Schlagern („Cindy, oh, Cindy, dein Herz muss traurig sein“), weil gerade populäre Songs immer auch biografische Tonspuren sind. Oder man prunkte mit dem Kennzeichen des Familienautos.

Oft wurde das Kissen dann mit ebenjenem Handkantenschlag geknickt, den die Achtundsechzigergeneration zu Recht als martialische Geste der unnötigen Akkuratesse, des Drills am toten Objekt, ja der Kulturwerdung eines Naturgegenstands erkannte: Das ungeknickte Kissen als Verkörperung des urwüchsig Rohen. War deshalb das Einsticken von Sprüchen wie „Nur ein Viertelstündchen“ eine Mahnung, es mit der Liebkosung eines Kissens nicht zu weit zu treiben und sich wieder der Pflicht, also der Arbeit, zu widmen?

In Dortmund hat das Museum für Kunst und Kulturgeschichte eine Ausstellung zum Sofakissen zusammengestellt. Aus einer – hauptsächlich aus Ostwestfalen stammenden – Sammlung von 250 Sofakissen der Dreißiger- bis Sechzigerjahre wurde eine ordentliche Kollektion zusammengestellt und in Vitrinen präsentiert. Im Überblick erweist sich, dass das bislang in Volksethnologien vernachlässigte Objekt des Sofakissens Rückschlüsse auf den Zeitgeist erlaubt.

Ein Kissen, mit „Berlin“ und einem komplizierten Muster, das sich als Brandenburger Tor deuten lässt, bestickt, ist schnell als Werk der späten Fünfziger erkannt; Sprüche wie „Vergiss deine Heimat nicht“ weisen auf den Anfang jener Dekade – es war die Zeit des deutschen Gefühls der Vertriebenheit. Andere Objekte zeigen nicht immer untadelig ausgeführte (deshalb aber desto individuellere), auf jeden Fall aber aufwendig gestaltete Handarbeiten, die das große Nachkriegsthema Reisen artikulieren: „Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise“ verweist auf Sehnsüchte abseits des Lebens zwischen Bausparvertrag, Überstunden und Sonderangeboten.

Schade, dass die Ausstellung keine Spekulationen über das heutige Kissenwesen und die aktuelle Kissenmode anstellt. Es wäre eine Betrachtung wert, was diesbezüglich Lofts von Reihenhäusern unterscheidet: Viel in der Ornamentik, gewiss. Aber nichts im Wunsch nach Gemütlichkeit. Kissen, die diesen Wunsch unterstreichen, haben alle.

„Von Fernweh und Gemütlichkeit in deutschen Wohnzimmern“ im Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte (www.museendortmund.de) ist bis zum 21. Oktober zu sehen, Dienstag bis Freitag und Sonntag 10 bis 17 Uhr, Sonnabend 12 bis 17 UhrJAN FEDDERSEN, 44, ist Redakteur im taz.mag. Daheim auf seinem Sofa liegen vier Kissen – unbestickt und ungeknickt

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