Riskantes Spiel von DFB-Trainer Wück: Nur die Idee zählt
Christian Wück versucht, mit seinem Spielansatz aus dem Männerbereich den DFB-Frauen neue Impulse zu geben. Funktioniert hat das nie wirklich.

Turnierniederlagen sind im deutschen Fußball immer inakzeptabel und ein grundsätzliches Problem. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass seit der auch noch sehr deutlichen 1:4-Niederlage gegen Schweden Grundsätzliches diskutiert wird. Lässt Bundestrainer Christian Wück nicht viel zu offensiv spielen? Muss denn die Abwehrkette wirklich so hoch schieben, dass der kleinste Fehler gleich zwangsläufig die höchste Alarmstufe auslöst?
Wück ist genervt. Er hält die Risikodebatte für oberflächlich. Er will das Risiko gerade dadurch minimieren, dass er das Spiel nach den Stärken seines Teams ausrichtet, die eindeutig im Offensivbereich liegen. Unter seinen Vorgängern Horst Hrubesch und Martina Voss-Tecklenburg verteidigten die tiefer stehenden deutschen Abwehrreihen ebenfalls häufig dilettantisch, nur war der Weg dann zum gegnerischen Tor viel weiter.
Das Problem, analysierte Wück, sei nicht die offensive Herangehensweise, sondern die fehlende Kompaktheit gewesen. Die Spielerinnen hätten enger beieinander stehen müssen. „Diese Kompaktheit wird ein Hauptschwerpunkt werden“, kündigt er für die Trainingstage bis zum Samstag vor dem Spiel gegen Frankreich an. Der Bundestrainer hält stoisch, andere würden sagen unbelehrbar, an seiner Strategie fest.
Sowohl Wück als auch seine Kritikerinnen und Kritiker haben recht. Mehr Kompaktheit wäre die Lösung des Problems, nur hat es mit der Kompaktheit beim offensiven Verteidigen in der knapp einjährigen Amtszeit des Bundestrainers noch nie so richtig geklappt. Quereinsteiger Wück, der zwölf Jahre im männlichen Juniorenbereich DFB-Konzepte umsetzen half und mit der U17 im Jahr 2023 Weltmeister wurde, brachte von Beginn an fraglos frischen Wind in den Mief bei den DFB-Frauen, der durch den jahrelangen taktischen Stillstand entstanden war.
Ein Lotteriespielansatz
Der 4:3-Premierenerfolg im Wembleystadion gegen England ähnelte durchaus der vergangenen EM-Partie gegen Schweden. Nur erbrachte der furiose Angriffsfußball in der Anfangsphase mehr eigene Tore. Danach legten die Engländerinnen die Schwächen der deutschen Vorgehensweise bloß. Ein Lotteriespielansatz mit ungewissem Ausgang.
Damals dachten die Beobachterinnen und Beobachter nur, wenn sich die Abläufe und Spielmuster im Team verfestigen, würde sich das Risiko schon minimieren. Dass dies bis heute nicht passiert ist, hat nicht nur mit Verletzungsproblemen und wechselndem Personal gerade in der Abwehrkette in den vergangenen Monaten zu tun. Die meisten Spielerinnen mussten sich im DFB-Team an eine Spielidee aus der Männerfußballwelt adaptieren, die in dieser Radikalität in ihren Vereinen nicht praktiziert wird.
Für Wück wiederum geht es nur um modernen Fußball, wie er sagt. „Egal ob Nachwuchs, Männer oder Frauen. Es geht um Fußball. Ich mache da keine Unterschiede, weil die Inhalte gleich sind.“
Allerdings verläuft im Männerfußball die Entwicklung genau umgekehrt. Die Vereine, die in viel größerem Trainingsumfang akribisch mit ihren Profis arbeiten können, setzen die innovativen Impulse, die dann später von den Nationalteams in vereinfachter Form übernommen werden. Der Verbandsmensch Wück will den Prozess im Frauenfußball nun von der anderen Seite aus starten. So sagte er einmal zu den Erwartungen an seine Fußballerinnen: „Hier geht es auch ums Verinnerlichen der DFB-Leitlinien, wie ich mich auf welcher Position zu verhalten habe.“
Es ist zweifellos der deutlich schwierigere Weg. Und weil Wück bis kurz vor der EM mit den Ergebnissen unzufrieden war, kamen immer mehr Spielerinnen zu ihrem Länderspieldebüt. Das erschwerte das Verfestigen von Mustern zusätzlich. Es fehlte ein eingespieltes Team. Wück räumte vor dem Turnier ein: „Das ist der Knackpunkt, den wir haben.“
Die Datenanalyse von Global Soccer Network (GNS) kam anlässlich von Wücks Kadernominierung zu dem Schluss, der Trainer habe nicht die besten deutschen Spielerinnen berufen, sondern diejenigen, die am besten zu seiner Spielsystem passen würden. Die Idee und DFB-Leitlinien scheinen über allem zu stehen. Weil aber gerade im Defensivbereich die Alternativen rar sind, scheint es eine unüberbrückbare Kluft zwischen eigenen Vorstellungen und der Umsetzung zu geben.
Selbst wenn das kompakte, offensive Verteidigen nahezu perfekt gelingen sollte, ist es kaum zu verhindern, dass die eher sprintschwachen Sarai Linder oder Rebecca Knaak ein entscheidendes Laufduell bestreiten müssen. Es ist nun gut möglich, dass Wück gegen die Angriffswucht von Frankreich erstmals eine defensivere Ausrichtung wählt. Allein der Ausfall der rotgesperrten Carlotta Wamser könnte ihn dazu bewegen, wie in der zweiten Hälfte gegen Schweden erstmals auf eine Fünferkette in der Abwehr zu setzen.
Das Problem wird nur sein, dass es in dieser Formation nun erst recht an eingeübten Abläufen fehlt. Im Erfolgsfall wiederum, davon kann man ausgehen, wird Wück seine ambitionierte Idee, den Frauenfußball von oben nach unten zu verändern, erst einmal ruhen lassen.
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