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Nur das Misstrauen der Deutschen stört

Islamischer Prediger in St. Georg will integrieren, nicht assimilieren  ■ Von Stephan Hack

Freitags geht es immer hektisch zu in der Moschee in St. Georg, wegen des Hauptgebets. Termin jagt Termin, auch für Mustafa Günesdogdu. Das Telefon des Predigers klingelt ununterbrochen. Einige Worte, dann legt Günesdogdu wieder auf. Er lächelt und entschuldigt sich: „War wichtig“.

„Mustafa Hodscha“, wie ihn hier alle nennen, lässt sich zurückfallen in seinen Sessel. Seine Arbeitskleidung, die dunkle Robe und der weiße Turban, hängt einen Stock höher in der Gebetshalle. Als islamischer Hodscha organisiert er die Pilgerreisen nach Mekka und empfängt die Gäste des Hauses. Den Koran zu unterrichten und zu predigen ist vor allem die Aufgabe seiner beiden Kollegen.

Fast 700 deutsche Besucher kamen letztes Jahr in die Moschee, Schulklassen, Arme, Drogenabhängige oder „Leute, die den Weg verloren haben“, wie der Hodscha sie nennt. Diesen Menschen schenkt er besonders viel Aufmerksamkeit. Wie ein Pastor bietet er dann seelischen Beistand. Auch zankende muslimische Ehepaare finden den Weg zu ihm. Er versucht zu schlichten, ist Vermittler. „Als Hodschas haben wir eine Vorbildfunktion in der Gemeinde.“

Um Hodscha zu werden, ist neben dem Studium der Religionswissenschaften Arabisch unerlässlich. Und das Auswendiglernen von Suren, den Versen des Koran. An dieser Pflicht hat Mustafa Günesdogdu einen Narren gefressen. Schon während der Realschulzeit blätterte er in seiner Freizeit viel im Koran. Mustafa lernte Suren auswendig, am Ende das ganze Buch. Mitte der Achtziger wurde er Europameister im Koranrezitieren. 1991 vertritt er in Saudi-Arabien die deutschen Muslime und schafft es prompt bis zum Weltmeister.

Mustafa Hodscha spricht am liebsten in der „Wir“-Form, auch wenn er sich selbst meint. Das „Ich“ schüre egoistische Tendenzen. Ein guter Muslim sei nur, wer zuerst an den anderen denke und ihm diene. Manchmal wird er trotzdem persönlich: „Wenn du mich nach meiner Identität fragst, sage ich dir: türkische Herkunft, islamischer Glaube, deutscher Staatsbürger.“ Wie viele aus seiner Generation möchte Günesdogdu in Deutschland wohnen bleiben, ein Leben lang. Zwar kam er erst im Alter von neun Jahren in das fremde Land, in dem sein Vater schon seit Jahren als Gastarbeiter lebte; doch er gibt zu, sich so sehr an die deutsche Lebensart angepasst zu haben, „dass es sich für mich lohnen würde, für dieses Land zu sterben, wenn Krieg wäre“. Mit dem Grundgesetz stimmt er völlig überein, weil der Koran die Menschenrechte ähnlich behandelt. Günesdogdu hält zwar viel von Integration, nichts aber von Assimilation. „Ich fände es schade, wenn es hierzulande nur eine Art des Glaubens und der Kultur gäbe.“

Aus diesem Grund geht die Centrums-Gemeinde nach draußen. Kontakte zu Kirchen und Synagogen bestehen schon, und am Stadtteilfest im Sommer in Mümmelmannsberg hat man auch mitgewirkt. Der Hodscha erhofft sich davon langfristig einen Abbau der Vorurteile. Denn das einzige, was ihn an den Deutschen stört, ist ihr Misstrauen: Die Deutschen setzten den Islam häufig mit Gewalt gleich. „Dabei bedeutet Islam Friede“, sagt er und ergänzt: „Wir wollen an dieser Gesellschaft teilnehmen. Wir sind keine Fremdkörper.“

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