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„Nur Schachspielen ist falsch“

Für sein Ziel Weltmeisterschaft 1999 arbeitet das asketisch lebende, aber nicht verbissene Schachtalent Peter Leko (15) daran, statt nur zu verteidigen künftig auch angreifen zu können  ■ Von Stefan Loeffler

Dortmund (taz) – Zögernd schaut er auf das Buffet. Auch seine neben ihm stehende Mutter entdeckt auf Anhieb nichts, was auf ihre beiden Teller darf. Gemeinsam suchen sie die laufenden Meter Leckereien ab, die zur Eröffnung der „Dortmunder Schachtage“ aufgefahren sind, während die anderen Gäste eifrig Räucherfleisch und Roastbeaf laden. Für Peter Leko kommt Fleisch nicht in Frage. Gegarte Speisen meidet er. Der Unterschied zu dem Mann, den er am liebsten schon in vier Jahren ablösen will, könnte kaum größer sein. Weltmeister Garri Kasparows Turnierdiät besteht aus Räucherlachs und einem nicht zu kleinen Steak vor der Partie. Anschließend Espresso, besser zwei. Abends darf es das gleiche sein.

Nichts für Peter Leko (15). Der Welt jüngster Großmeister setzt seit dreieinhalb Jahren auf Rohkost und Kräutertee. Sein damaliger Trainer Gaspar Mathe war mit diesem Rezept sein Übergewicht losgeworden. Als Peter es versuchte, gelangen ihm prompt die erforderlichen Resultate für den Titel eines Internationalen Meisters. Seinem Beispiel folgten sein Bruder Tomas und Mutter Julica, die ihn seitdem auf Turnierreisen begleitet, um ihm Salate zu mixen und Nüsse zu kaufen.

Zu Hause im ungarischen Szeged übernachtet Leko oft draußen, selbst wenn die Temperaturen bis auf wenige Grad über dem Gefrierpunkt sinken. Der Apfelbaum, unter dem er seinen Schlafsack ausrollt, gebe ihm Energie, erklärt er. Seine lange, schmale Statur täuscht Ungelenkigkeit vor. Dabei spielt er leidenschaftlich Fußball, Tennis und Pingpong.

Dem ungleich athletischer gebauten Kasparow attestiert er trotz Fleischkonsums eine gesunde Lebensweise. Doch die meisten Schachspieler leben und ernähren sich falsch, sagte Leko in einem Interview mit der Schachzeitschrift New in Chess. Aus seiner Sicht sei die Mehrzahl seiner Kollegen krank. Doch statt sich mit seiner Philosophie, die er von dem in Ungarn sehr bekannten Heilpraktiker Istvan Ferencsik übernommen hat, zu befassen, lachten sie ihn aus, wenn er von seiner Lebensweise erzähle. „Darum will ich Weltmeister werden. Um zu beweisen, daß meine Methode gut ist.“

Dazu zählt er auch, nicht im Übermaß zu trainieren. „Natürlich muß man arbeiten, aber nicht acht Stunden am Tag“, kritisiert er Laszlo Polgar, der Schachtalent in einem Buch als reine Erziehungssache angepriesen hat. Nur eine von dessen drei Töchtern, Judit nämlich, habe es mit dem harten Schachtraining wirklich zu etwas gebracht. Peter, der sich für ein Naturtalent hält, feilt lieber gezielt an seinem Eröffnungsrepertoire. Vor dem Dortmunder Turnier bereitete er sich mit seinem Landsmann Zoltan Ribli ausgiebig auf die neun Gegner vor.

Seiner Überzeugung nach werden Partien zwischen Weltklassespielern vorwiegend in der Heimanalyse entschieden. Davon war bis zur vierten Runde am Montag allerdings wenig zu spüren. Seine zweieinhalb Punkte verdankt er eher seiner Zähigkeit als seinen Eröffnungsvarianten. Gegen den Wiesbadener Eric Lobron, der als einziger in diesem stark besetzten Turnier weniger Elopunkte (2595) als Leko (2605) zu Buche stehen hat, kam er trotz des Vorteils der weißen Steine mit Nachteil aus der ersten Partiephase. Der einzige Deutsche im Zehnerfeld patzte in der fünften Stunde. Nach diesem glücklichen Sieg erzitterte sich Leko am zweiten Tag gegen den aus Steuergründen in Griechenland lebenden Briten Nigel Short ein Remis. Zwei weitere Punktteilungen mit Jeroune Piket (Niederlande) und Joäl Lautier (Frankreich) gingen in Ordnung, so daß er sich nun mit Fide-Weltmeister Anatoli Karpow hinter dessen russischem Landsmann Wladimir Kramnik den zweiten Platz teilt. In der zweiten Turnierhälfte erwarten den jungen Ungarn ab heute und bis Sonntag allerdings noch die schwersten Brocken.

„Ich muß lernen, auch gegen Weltklassespieler auf Gewinn zu spielen“, sagte er vor der ersten Runde. Seit einem Jahr wiederholt Leko gebetsmühlenartig sein Versprechen, Angriffsschach zu spielen. Ein Feigling und Remisschieber sei er, hatte Exvizeweltmeister Viktor Kortschnoi damals über ihn geurteilt. Gewöhnlich riskierten die Jungen mehr als die Alten. Mit Leko und ihm sei es umgekehrt, höhnte der inzwischen 64jährige Kortschnoi. „Das tat weh, aber er hatte recht“, entschloß sich Peter, schärfere Spielweisen in sein Repertoire aufzunehmen. Der frühere Weltmeister Tigran Petrosjan, ein subtiler Positionsspieler und Verteidigungskünstler, durfte nicht länger sein Idol sein.

Als für die übrigen Großmeister gestern Ruhetag war, verdienten sich Leko und Karpow mit einer Simultanvorstellung etwas zu ihren Antrittsgeldern dazu. Obwohl Leko mit Abstand der Beste seines Jahrgangs ist und den Vergleich mit Bobby Fischer und Garri Kasparow in diesem Alter nicht zu scheuen braucht, stehen die Sponsoren nicht Schlange. Seit kurzem wird er von einem ungarischen Messebaubetrieb unterstützt.

Peter Leko ernährt nicht nur seine Familie, sondern muß auch Trainingskosten decken und für eine größere Wohnung sparen. In den eineinhalb Zimmern baute er aus Platzmangel kaum einmal Brett und Figuren auf. An Turniereinladungen mangelt es nicht. „Peter könnte wohl höhere Starthonorare bekommen“, sagt sein Freund und Berater, der Nettetaler Jürgen Daniel: Aber möglichst stark besetzte Turniere spielen zu können, hat für ihn jetzt Priorität.“

Ob gegen Fleischesser Kasparow oder Mitvegetarier Anand Viswanathan: 1999 will Peter um die Weltmeisterschaft spielen. Wenn das Ziel erreicht und die Tauglichkeit seiner Methode beweisen ist, möchte er etwas anderes machen, Arzt werden oder Heilpraktiker. „Nur Schachspielen ist falsch“, sagte er zu New in Chess.

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