: Nur Nebelkerzen von Gorbatschow
■ Regierungsumbildung für die nächsten zehn Tage in Aussicht gestellt/ Aufforderung zur Offensive gegen „destruktive Kräfte“
Moskau (taz) — Die Abgeordneten des Obersten Sowjets, die für gestern eine Krisensitzung des Parlaments durchgesetzt hatten, sahen sich vom Rechenschaftsbericht Gorbatschows enttäuscht. Der Präsident stellte zwar für die nächsten zehn Tage eine Regierungsumbildung in Aussicht, die Fachleute und geachtete Persönlichkeiten ins Kabinett bringen sollte, hielt aber an Ryschkow als Ministerpräsident fest. Auch über eine Neubesetzung der Armeespitze sprach er, präsentierte jedoch weder den Entwurf der Zentrale für den Unionsvertrag, noch erklärte er, wie die Wirtschaftsreform angesichts der faktischen Selbstständigkeit der Unionsrepubliken in Angriff genommen werden kann. Sein einziger praktischer Vorschlag war der eines Moratoriums für alle Republikgesetze, die denen der Union widersprächen. Im Übrigen geizte er nicht mit Angriffen auf „destruktive Kräfte“ und rief zur „Offensive“ auf, um dem drohenden Chaos zu begegnen.
Jelzin forderte den Rücktritt Ryschkows und schlug vor, an Stelle der jetzigen Regierung ein „Antikrisenkomitee“ zu setzen, das sich auf eine Koalition aller Republikregierungen stützen müsse. Er widersprach auch der Behauptung Gorbatschows, für den kommenden Winter seien genügend Lebensmittel verfügbar. Vertreter Georgiens und der Balten erklärten schon jetzt, sie würden dem geplanten neuen Unionsvertrag nicht zustimmen. SEITE 2
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