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Archiv-Artikel

■ Transnet-Chef Norbert Hansen ist in den Bahn-Vorstand gewechselt. Kurt Tucholsky meint: Nun sitzt er oben

betr.: „Der Verräter“, taz vom 9. 5. 08

Na, Verräter eigentlich nicht. Ein Verräter, das ist doch ein Mann, der hingeht und seine Freunde dem Gegner ausliefert, sei es, indem er dort Geheimnisse ausplaudert, Verstecke aufzeigt, Losungsworte preisgibt … und das alles bewusst … nein, Verräter sind diese da nicht. Die Wirkung aber ist so, als seien sie welche, doch sind sie anders, ganz anders.

Da wird man vom Vertrauen der Parteigenossen ausgesandt, mit dem bösen Feind zu unterhandeln, sozusagen die Arbeiter zu vertreten, die ja inzwischen weiterarbeiten müssen. Und die erste Zeit geht das auch ganz gut. Geld … ach, Geld … wenn die Welt so einfach wäre. Geld ist zunächst gar nicht zu holen. Der Arbeiterführer bleibt Arbeiterführer; leicht gemieden von den Arbeitgebern, merkwürdiges Wort, übrigens. Nein, nein, man bleibt ein aufrechter Mann.

Aber im Laufe der Jahre, nicht wahr, da sind so die langen Stunden der gemeinschaftlichen Verhandlungen an den langen Tischen: Man kennt einander, die Gemeinsamkeit des Klatsches eint, und es wird ja überall so viel geklatscht. Nun, und da stellt sich so eine Art vertraulicher Feindschaft heraus.

Kitt ist eine Sache, die bindet nicht nur; sie hält auch die Steine auseinander. Zehn Jahre Gewerkschaftsführer; zehn Jahre Reichstagsabgeordneter; zehn Jahre Betriebsratsvorsitzender – das wird dann fast ein Beruf. Man bewirkt etwas. Man erreicht dies und jenes. Man bildet sich ein, noch mehr zu verhüten. Und man kommt mit den Herren Feinden ganz gut aus, und eines Tages sind es eigentlich gar keine Feinde mehr. Nein. Ganz leise geht das, unmerklich. Bis jener Satz fällt, der ganze Reihen voller Arbeiterführer dahingemäht hat, dieser infame, kleine Satz: „Ich wende mich an Sie, lieber Brennecke, weil Sie der Einzige sind, mit dem man zusammenarbeiten kann. Wir stehen in verschiedenen Lagern – aber Sie sind und bleiben ein objektiver Mann …“ Da steckt die kleine gelbe Blume des Verrats ihr Köpfchen aus dem Gras – hier, an dieser Stelle und in dieser Stunde. Da beginnt es.

Der kleine Finger ist schon drüben; der Rest lässt nicht mehr lange auf sich warten, „Genossen“, sagt der Geschmeichelte, „man muss die Lage von zwei Seiten ansehn …“ Aber die Genossen verstehen nicht recht und murren: Sie sehn die Lage nur von einer Seite an, nämlich von der Hungerseite. Und was alles Geld der Welt nicht bewirkt hätte, das bewirkt jene perfide, kleine Spekulation auf die Eitelkeit des Menschen: Er kann doch die vertrauensvollen Erwartungen des Feindes nicht enttäuschen. Wie? Plötzlich hingehn und sagen: Ja, die Kollegen billigen das nicht, Krieg muss zwischen uns sein, Krieg und Kampf der Klassen, weil wir uns ausgebeutet fühlen …? Unmöglich. Man kann das unmöglich sagen. Es ist zu spät.

Und dann geht es ganz schnell bergab. Dann können es Einladungen sein oder Posten, aber sie müssen es nicht sein – die schlimmsten Verrätereien auf dieser Welt werden gratis begangen. Dann wird man Oberpräsident, Minister, Vizekönig oder Polizeipräfekt – das geht dann ganz schnell. Und nun ist man auch den grollenden Zurückgebliebenen, die man einmal vertreten hat und nun bloß noch tritt, so entfremdet – sie verstehen nichts von Realpolitik, die Armen.

Nun sitzt er oben, gehört beinah ganz zu jenen, und nur dieses kleine Restchen, dass sie ihn eben doch nicht so ganz zu den Ihren zählen wollen, das schmerzt ihn. Aber sonst ist er gesund und munter, danke der Nachfrage.

Und ist höchst erstaunt, wenn man ihn einen Verräter schilt, Verräter? Er hat doch nichts verraten! Nichts – nur sich selbst und eine Klasse, die zähneknirschend dieselben Erfahrungen mit einem Neuen beginnt. IGNAZ WROBEL, 1931

Auf Empfehlung von taz-Leser Richard Kelber, Dortmund