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■ Stunde NullNotrezepte und alliierter Futterneid

Auch im Sommer 1945 scheint in Berlin die Sonne. Und es stinkt. Die Müllabfuhr arbeitet in keinem der vier Sektoren der Stadt, was offenbar vor allem der reichshauptstädtischen Fliegenpopulation gut bekommt. Sehr zum Unwillen der Presse, die sich des Problems im Juli annimmt. So fordert Das Volk seine Leser auf, das Trinkwasser vor den „Plagegeistern“ zu schützen, und die Tägliche Rundschau gibt Ratschläge zum Eigenbau von Fliegenfängern: „In einer Drogerie kauft man 50 Gramm weißes Vaselinöl und 200 Gramm Kolophonium, schmilzt beides in einem Tiegel zusammen und bestreicht dann etwa zwei Finger breite Papierstreifen oder trompetenförmig spitz zulaufend geklebte Fliegentüten mit der noch warmen Flüssigkeit.“

Solche subtilen Jagdtips helfen leider nicht im Fall der kriegsbedingten Hundeplage, mit der sich bereits der Magistrat befassen muß. Auf der Konferenz der Bezirksbürgermeister beklagt sich der Leiter der Abteilung Veterinärwesen, Dr. Wundram, darüber, daß „im Laufe der Kriegshandlungen aus dem Osten und anderen Gebieten zahlreiche Hunde eingeführt worden sind, die jetzt herrenlos herumstreunen“. Wundram fordert, die Tiere einzufangen und zu isolieren, muß aber zugleich einräumen: „Der dafür zuständige Deutsche Tierschutzverein, Ortsgruppe Berlin, ist augenblicklich tot; Vorstand und Geschäftsführer sind nicht mehr im Amt. Der Vorstand ist verhaftet; er war Schnellrichter, der Geschäftsführer hat sich das Leben genommen.“ Dieses erschreckende Beispiel morbiden Vereinslebens animiert Köpenicks Bezirksbürgermeister Kleine, auf derselben Sitzung darauf hinzuweisen, daß in den Gewässern seines Bezirks noch immer „sehr viele Menschenleichen und Tierkadaver herumschwimmen“. Darum sollte der Magistrat bei seiner „Kampagne gegen die Seuchen die Bevölkerung auch darauf hinweisen, beim Freibaden mit dem Schlucken von Wasser vorsichtig zu sein“.

Darauf will es Stalin nicht ankommen lassen. Er folgt dem Rat seiner Sicherheitsberater und schlägt anstelle der völlig versifften und zerstörten deutschen Hauptstadt als Kulisse für die schon lange geplante Dreierkonferenz der Siegermächte das nahe gelegene Babelsberg vor. Während Churchill und Truman in Berlin landen, um vor Konferenzbeginn noch schnell den Führerbunker zu besichtigen, kommt der Generalissimus am 16. Juli mit einem von 17.000 Tschekisten beschützten Sonderzug von Moskau direkt nach Potsdam.

Aber auch die Westalliierten haben ihren Spaß. So berichtet die Tägliche Rundschau am 22. Juli von einer Pressekonferenz im Reichspatentamt. Dort erklärt der für die Kontrolle des Amtes zuständige US-Oberst Ernest L. McLendon, „daß nach meiner Ansicht die von den amerikanischen Besatzungstruppen gefundenen deutschen Patente zugunsten alliierter Nationen ausgewertet werden sollten, da sich viele Patente als sehr wertvoll erwiesen haben“. Nichtsdestotrotz bleiben die Deutschen erfinderisch. So erklärt beispielsweise Frau Reckün jeden Dienstag interessierten Hausfrauen in der Beratungsstelle des Kleingärtnerverbandes, wie man Schmalz aus Grütze und Wasser herstellen kann: „Auf einen halben Liter Wasser nimmt man drei Eßlöffel Grütze und kocht sie etwa eine halbe Stunde. Schnittlauch und Zwiebeln müssen darin braun geröstet werden, ein geriebener Apfel dazu verbessert den Geschmack.“ André Meier

wird fortgesetzt

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