piwik no script img

Nostalgischer Schnickschnack

■ Zwei Bildbände dokumentieren die wechselvolle Geschichte von Hamburgs Bahnhöfen

Ein Standesamt im Bahnhof – wo gibt es denn so was? In Altona. Das ist allerdings kein Ausdruck dafür, daß es Jungvermählte an diesem Ort keine Sekunde länger hält als unbedingt nötig. Das Standesamt ist auch in der ehemals dänischen Großstadt ganz ordentlich im Rathaus untergebracht. Aber in seinem früheren Leben diente der schmucke weiße Bau am Platz der Republik – der einzige dieses Namens mit integriertem Kaiser-Denkmal – als Bahnhof.

Zwei neue Bildbände machen die bewegte Geschichte der Bahnhöfe in Hamburg anschaulich: Katharina Marut-Schröter und Jan Schröter zeigen den Wandel der Bahnhöfe an historischen und neuen Fotografien. Auf alten Stadtplänen wird sichtbar, wie sich mit dem Einzug des Schienenverkehrs auch die Topographie der Stadt verändert hat. Anne Frühauf geht in ihrem Werk „Die Bauwerke des Schienenverkehrs in Hamburg“ mit dem Blick der Historikerin und Denkmalschützerin an das Phänomen Eisenbahn heran. Neben den Bauwerken erläutert sie ausführlich die Entstehungsgeschichte von Personen- und Güterverkehr. Entsprechend kritisch beurteilt die Autorin den von rein finanziellen Überlegungen geprägten Umgang der Bahn AG mit ihren Gebäuden.

Wie wechselvoll die Geschichte von Hamburgs Bahnhöfen war, zeigen beide Bände. Beispiel Altona: Als das heutige Altonaer Rathaus als Bahnhofsgebäude für die wachsende Zahl der Reisenden zu klein wurde, wurde 1898 ein paar hundert Meter weiter ein neuer Bahnhof gebaut, der „Altonas Bedeutung als Bahnstadt“ auch architektonisch zur Geltung brachte mit seinen mittelalterlich anmutenden Türmen und Zinnen aus Backstein. Nur 80 Jahre stand das eindrucksvolle Gebäude, dann beschloß die Eigentümerin Bundesbahn, daß sie sich solch nostalgischen Schnickschnack nicht mehr leisten wolle. Der Bahnhof wurde abgerissen, an seiner Stelle entstand ein Kaufhaus mit Durchgang zu den Gleisen. „Kaufbahnhof“ nennen ihn die AltonaerInnen abschätzig.

Bis heute kann man im Stadtbild sehen, daß die Entwicklung des Schienenverkehrs in Hamburg geprägt war von der kleinstaatlichen Konkurrenz zwischen der Hansestadt und ihren Nachbarstädten Altona, Harburg und Bergedorf. Erst 20 Jahre, nachdem Hamburg und Altona jeweils einen eigenen Bahnhof gebaut hatten, entstand die sogenannte Verbindungsbahn. Ihre Haltepunkte sind heute die Stationen der S-Bahn zwischen Hauptbahnhof und Altona. Von den einst prächtigen Gebäuden ist nur noch der Dammtorbahnhof in ganzer Schönheit zu bewundern. Vom Bahnhof Sternschanze ist immerhin das Eingangsgebäude erhalten, die Glashalle über den Gleisen ist ebenso wie der gesamte Bahnhof Holstenstraße der Modernisierung zum Opfer gefallen. Viele andere Bahnhofsbauten sind in den letzten 30 Jahren mehr oder minder stark umgebaut worden. Leider standen dabei meist funktionale und wirtschaftliche Anforderungen im Vordergrund.

Iris Schneider

Katharina Marut-Schröter/Jan Schröter: Hamburgs Bahnhöfe. Verkehrs-Tempel und Haltepunkte im Wandel; Medien-Verlag Schubert, Hamburg 1994;

Anne Frühauf: Die Bauwerke des Schienenverkehrs in Hamburg; Hans Christians Verlag, Hamburg 1994.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen