: Normierte Langeweile
Das Museum der Arbeit geht mit einer Ausstellung der Frage auf den Grund, welche Kultur der Sonntag hervorgebracht hat ■ Von Eberhard Spohd
Der Sonntag beginnt schon am Sonnabend. Mit dem Einkauf: Schließlich soll der Braten am folgenden Tag auf dem Tisch stehen. Mit der Reinigung: Schließlich soll die Wohnung sauber sein. Und der Körper kernseifig bis wohlig duften. Dann wird noch der Sonntagsstaat zurechtgelegt. Dann kann er kommen, der Tag, der im Grundgesetz der „Arbeitsruhe und seelischen Erhebung“ gewidmet ist, wobei der Parlamentarische Rat diesen Passus mit nur einer Stimme Mehrheit aus der Weimarer Verfassung übernahm.
Das Museum der Arbeit widmet dem Tag des Herrn und der Freizeit, des Sports und der Ausflüge in den kommenden Monaten die Sonderausstellung „Sonntag – Kulturgeschichte eines besonderen Tages“. Damit wollen die drei Kuratorinnen „Stellung nehmen zum Thema Wertewandel“, wie Lisa Kosok, die stellvertretende Direktorin des Museums, sagt. Gerade am Sonntag lasse sich sehr gut fokussieren, wie sich dieser Wochentag, der soviel Kultur hervorgebracht habe, im Lauf der Zeit veränderte.
Allerdings betont die Ausstellung nicht unbedingt die Entwicklung des Sonntages. Zwar gibt es Exponate, die auf die Zeit der Industrialisierung hinweisen, als an jenem Tag noch gearbeitet wurde und nur reiche Menschen es sich leisten konnten, einen Tag die Woche frei zu nehmen. Auch wird in der Folge ein kurzer Abriss über gesetzliche Maßnahmen und tatsächliches Leben dokumentiert. Der Schwerpunkt der ausgestellten Gegenstände liegt in den 50er und 60er Jahren. Dies liegt für Kosok voll im Trend: „Ab 1890 lagen von vielen Institutionen Auslassungen vor, wie der Sonntag zu begehen sei.“ Die Kirchen hätten dazu ebenso explizite Ansichten gehabt wie die Sozialdemokraten. „Und in den 50er Jahren ereichte all dies seinen Höhepunkt“, begründet sie die Gewichtung, „es war die Blütezeit der Sonntagskultur, als er für das Gros der Bevölkerung Wirklichkeit wurde.“
Das Ausstellungskonzept folgt der zeitlichen Abfolge und beginnt schon am Samstag. Da werden Reinigungsutensilien gezeigt und Einkaufszettel, auf denen sich der Braten und die Zutaten wiederfinden. Darauf folgt der Sonntag mit all dem, was ihn so unvergleichlich machte. Der Kirchgang, der sich fest ins kollektive Gedächtnis eingeprägt hat, obwohl auch im Nachkriegsdeutschland nur 1,7 Prozent der Bevölkerung jede Woche in die Kirche pilgerten. Die Sonntagskleidung, vom Handtäschchen über die Schuhe und die kratzigen Anzüge. Gezeigt wird auch ein Bluse mit Wechselknöpfen, die matten für den Alltag, die glänzenden für den Sonntag. Die Nachmittagsbeschäftigungen zwischen Alster, Elbe, Hagenbeck und Sportplatz. Schließlich die abendlichen Vergnügungen, irgendwo zwischen Kino und dem Tatort.
Womit das Thema Wertewandel wieder aufgegriffen wird. Die gemeinschaftlichen familiären Aktivitäten wurden schon früh und meist durch die Jugendlichen zersetzt. Der Pettycoat ersetzt das guten Kleid, der Schwoof den Ausflug. Und so starb und stirbt der normierte Sonntag langsam aus. Das Museum der Arbeit setzt ihm mit dieser Ausstellung ein letztes Denkmal.
Sonderausstellung „Sonntag – Kulturgeschichte eines besonderen Tages“, ab Montag bis zum 26. August, Museum der Arbeit, Wiesendamm 3; der Katalog dazu kostet 39,80 Mark
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