■ Normalzeit: Die Generation Next
Im Oranienstraßen-Club „SO 36“ liefen in diesem Sommer, großbildprojiziert, über 90 Folgen der US-TV-Serie „Star Trek – Next Generation“. Ich habe sie manchmal gesehen, weil Sat.1 die Folgen zeitlich günstig zwischen meinen nocturnen und meinen blümeranten Arbeitsanfällen plaziert hatte (erstere dauern meist von 21 bis 24 Uhr, letztere bis zum Grauen). Die Abenteuer der Mannschaft von Jean-Luc Picard handeln stets vom Umgang mit unterschiedlichen Verhaltens- und Reaktionsweisen, wobei man die Vertreter der Planeten und Galaxien auch als Phänotypen bzw. repräsentative Mackenköpfe der einzelnen Nationen des „Raumschiffs Erde“ ansehen kann; genauer gesagt: ansehen muß.
Ihr Universum ist, drehbuchbedingt noch vom Kalten Krieg geprägt, zweigeteilt und US-dominiert. Insofern besteht kein Unterschied zur ersten Enterprise-Serie mit den beliebten Dr. Spock und Captain Kirk. Als die einzige schwarze Schauspielerin dieser Serie aufhören wollte, bat Martin Luther King sie persönlich, weiter zu spielen: Sie würde damit dem Kampf für die Gleichberechtigung der Schwarzen einen großen Dienst erweisen.
Kirk entdeckte später auf Vortragstourneen durch Hunderte von US-Großbetrieben, daß diese sich beim Einrichten ihrer Befehlszentralen zumeist vom Interieur seines Raumschiffs hatten inspirieren lassen. In der neuen Enterprise ist nicht so sehr das Design markant, sondern die Umgangsform, die Etikette: Das Multikulti im Inneren wie im Äußeren verlangt „political correctness“ und tendenzielle Diskursivierung aller Konflikte, wobei die einzelnen „Planeten“ ihren Leuten Sozialisationsvorgaben machen: Der eine, etwas Schwerfällige, hat es unentwegt mit Ehre und Mut, die andere, eine altgriechische Schönheit, mit der Empathie. Dazwischen ratschlagt auch noch das Feminin-Unaussprechliche – gespielt von Whoopi Goldberg. Picard ist meist Moderator, hat aber auch Führungsqualitäten.
Mich erinnert das alles zwar auch an Kreuzberg-Klischees, aber vor allem an die Firma „Markt und Daten“ in der Fasanenstraße, in der junge gebildete Menschen aus 32 Ländern per Ferngespräch und rund um die Uhr hocherfolgreiche „Investitionsgüterforschung“ betreiben, hauptsächlich für amerikanische Kunden, die solch kluge, kommunikative Forschung nach wie vor mehr zu schätzen wissen als deutsche. Es ist eine deutsche Firma, wobei mittlerweile jedoch nur noch ein Deutscher, ein ehemaliger Hausbesetzer, „President“ einer Abteilung ist, und das auch nurmehr ehrenhalber.
Als ich von den autonomen Kreuzberger Picard-Fans hörte, war ich überrascht. Die im „SO 36“ arbeitende Heike hatte mit der Vorführung, mehr für sich selber, auf dem Videobeam begonnen. Ihre Freundin bedachte sie regelmäßig mit unsynchronisierten Videokopien aus England. An den ersten Nachmittagen schauten nur ein paar zufällig Vorbeigekommene rein, aber nach und nach sprach sich der Film-Marathon herum. So kamen bald regelmäßig Leute, die in der Nachbarschaft arbeiteten, zuerst die aus dem Comic-Laden gegenüber.
Sie fingen dann auch schnell an, sich Material von „Star Trek – Next Generation“ zu besorgen – Bildbände, Logbücher, Poster, klingonisch-englische Wörterbücher usw. Was dieses Schwärmen in der Oranienstraße für hundert Filmstunden über intergalaktisch-korrekte Kommunikation, wie sie zum Beispiel in der Multikulti-Edelfirma „Markt und Daten“ praktisch gepflegt wird, wirklich bedeutet, vermag ich hier und jetzt leider noch nicht zu sagen. Helmut Höge
Wird fortgesetzt
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