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Noch mehr Benzin im Tank

Der Australier Lleyton Hewitt dominiert den Masters-Cup der Tennisspieler in Sydney nach Belieben, beendet das Jahr als Nummer eins und erntet sogar einige Sympathiepunkte bei seinen Landsleuten

von MATTI LIESKE

Ein solch heiß geliebter Darling der australischen Massen wie Patrick Rafter wird Lleyton Hewitt sicherlich niemals werden. Rafter, der seine Tenniskarriere nach dem Daviscup-Finale gegen Frankreich in zwei Wochen in Melbourne zumindest unterbrechen, vermutlich aber endgültig beenden wird, ist der Prototyp des humorvollen, entspannten australischen „Good Guy“. Ein freundlicher Bursche, der den Fans das Gefühl vermittelt, sie könnten jederzeit mit ihm in die Kneipe an der nächsten Ecke gehen und zusammen ein Bier oder auch viele Biere trinken. Bei Hewitt können sie sich höchstens vorstellen, an der nächsten Ecke in eine Schlägerei mit ihm zu geraten.

In der letzten Woche hat der kratzbürstige 20-Jährige jedoch einiges gut gemacht bei seinen Landsleuten – und zwar nicht nur, weil er gestern in Sydney mit einem 6:3, 6:3, 6:4 gegen den Franzosen Sebastien Grosjean den Masters-Cup gewann. Auch nicht allein dadurch, dass er zuvor der jüngste Spieler aller Zeiten und der erste australische überhaupt wurde, der seit Einführung der Tennis-Weltrangliste 1973 am Jahresende deren Nummer eins war. Sympathien sammelte Hewitt vor allem durch sein deutlich gereiftes Auftreten. Hatte er im letzten Jahr beim Turnier in Adelaide, Schauplatz seines ersten großen Triumphes, das Publikum noch als „dumm“ geschmäht, sagte er in Sydney nur brave Dinge. Sogar seine verbale Aggressivität auf dem Platz nahm der Liebhaber des raubeinigen australischen Footy, der auf dem Tennisplatz häufig wirkt, als würde er seinem Gegner gleich an den Kragen gehen, etwas zurück.

Offenbar eine heilsame Lehre des Medienunwetters, das bei den US-Open nach einem von der amerikanischen Öffentlichkeit als rassistisch gebrandmarkten Ausbruch gegen einen schwarzen Linienrichter über ihn hereingebrochen war. Kleinlaut musste er sich entschuldigen und wurde fortan trotzdem ausgepfiffen. „Danach“, so Hewitt, „war es das Wichtigste, alles wegzublocken, sich auf mentale Stärke und inneren Glauben zu konzentrieren.“ Das funktionierte: Hewitt gewann das Finale gegen Pete Sampras und ist seither nahezu unschlagbar.

Obwohl von einer Zerrung und einem seltsamen Virus gehandicapt, servierte er in Sydney nacheinander die Spieler Kuerten, Agassi, Rafter und Ferrero ab, bevor er im Endspiel auch Daviscup-Kontrahent Grosjean keine Chance ließ. Als Andre Agassi nach dem Match gegen Hewitt gefragt wurde, ob er dem Youngster ein paar Ratschläge für dessen Karriere geben könnte, sagte der 31-Jährige nur: „So, wie es heute gelaufen ist, sollte er mir Ratschläge geben.“

Der Durchbruch des Lleyton Hewitt in diesem Jahr hängt auch mit einer veränderten Balance in seinem Spiel zusammen, das, ähnlich wie jenes von Agassi, auf allen Bodenbelägen funktioniert. Jeden seiner großen Kontrahenten hat er auf dessen Spezialbelag besiegt, inklusive Pete Sampras auf Rasen. Seit er mit 16 in Adelaide auf seinem Weg zum ersten Turniersieg als Nummer 550 der Weltrangliste jenen Andre Agassi bezwang, der kurz zuvor noch als Poster über seinem Bett gehangen hatte, waren es vor allem Hewitts Furchtlosigkeit, sein unbändiger Siegeswille und seine immense Laufstärke, die ihm Erfolge brachten. Weil er aber über keinen echten Gewinnschlag verfügte, musste er, besonders bei Grand-Slam-Turnieren, oft wahre Marathon-Matches absolvieren. Mit Coach Darren Cahill, der ihn seit dem zwölften Lebensjahr betreut, arbeitete er systematisch an seinen Schwächen und verbesserte in diesem Jahr vor allem Vorhand und Aufschlag, was ihm erlaubt, häufiger ans Netz zu gehen. „Ich kann so billiger Punkte mit meinem ersten Aufschlag bekommen“, erläutert er, „und wenn das passiert, gewinne ich Matches auf einfachere Weise. So habe ich eine bessere Chance bei Grand Slams, weil noch ein bisschen mehr Benzin im Tank ist, wenn die Viertel- und Halbfinals kommen.“

Ungute Aussichten für die Kontrahenten, denen künftig eine Art Turbo-Agassi mit Boris-Becker-Spoiler gegenüber stehen wird. Gute Aussichten hingegen für die Werbebranche, die mit einem halbwegs geläuterten Hewitt die lange gesuchte neue Galionsfigur im Tenniszirkus parat hat. „Geld und Reisen“, hatte Hewitt als 16-Jähriger auf die Frage geantwortet, was ihm am Tennis besonders gefalle, das Primat dürfte fürderhin eindeutig dem Dollar gehören. Beim Sportartikler Nike ist der Australier designierter Nachfolger von Sampras und Agassi, die zügig auf den Ruhestand zusteuern.

„Er ist der Tiger Woods des Tennis“, sagte der australische Sportmanager Max Markson dem Sydney Morning Herald, in den nächsten fünf Jahren werde Hewitt 200 Millionen Dollar verdienen können. Das glaubt auch Australiens Tennislegende John Newcombe, der jedoch warnt: „Wenn der Blick vom Ball abschweift, leidet das Tennis.“ Er empfiehlt dem Jungstar, den Weg von Patrick Rafter zu gehen, der lieber „ein friedliches Leben“ führte, als jedem Dollar nachzujagen. Noch fällt es den Menschen in Australien allerdings schwer zu glauben, dass Lleyton Hewitt irgendetwas so wie Patrick Rafter machen könnte.

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