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Noch herrscht die Angst in Albanien

■ In den letzten Monaten kam es zu vereinzelten Demonstrationen und Streiks in dem immer noch abgeriegelten Land

Von Mathias Kalusch

Auf den ersten Blick wirken die AlbanerInnen zufrieden. Reges Treiben herrscht auf den Straßen und Plätzen. Denkmäler mit Partisanen und Helden des Befreiungskampfes sind allgegenwärtig. Überall zieren Zitate des Staatsgründers Enver Hoxha und seines Nachfolgers Ramiz Alia das Straßenbild. An markanten Stellen stehen große Stalindenkmäler. Alles scheint sich in das Alltagsleben einzufügen - aber nur auf den ersten Blick.

In der nordalbanischen Stadt Shkoder versuchen mich zwei Albaner vom Fotografieren eines der üblichen Stalindenkmäler abzubringen. Später berichten mir andere, letztes Jahr zu Weihnachten, zur Zeit der Revolution in Rumänien, hätten 2.000 Demonstranten versucht, das Denkmal mit einem Seil umzukippen. Die Demonstration wurde jedoch von plötzlich aus Krankenwagen aufgetauchten Polizisten mit Gummiknüppeln niedergeschlagen. Auf dem zentralen Platz in der Hauptstadt Tirana wacht überlebensgroß in Bronze gegossen der Führer Albaniens: Enver Hoxha, der das Land 40 Jahre lang regierte. Der Platz ist umsäumt von gigantischen Bauwerken, während die Bevölkerung in den Städten fast ausschließlich in Betonplattenhäusern wohnt. Oft mit vier oder sechs Personen in einer Dreizimmerwohnung ohne separate Küche und nur einem Wasseranschluß neben dem Klo.

In der südalbanischen Stadt Saranda werden diese brüchigen Wohnklötze durch Zwangsarbeiter errichtet. Oberhalb des kleinen Hafens liegt dieses Arbeitslager. Die Baustelle ist meterhoch mit Stacheldraht eingezäunt und mit Wachtürmen bestückt. Soldaten mit Gewehr im Anschlag wachen über die Gefangenen. Die schon fertiggestellten Wohnblocks daneben sind bereits bezogen.

AlbanerInnen nehmen nur Kontakt zu Touristen auf, wenn sie sich sicher sind, daß sie nicht von Polizisten, Soldaten oder Spitzeln des Geheimdienstes „Segurimi“ beobachtet werden. Tagsüber ist dies nicht einfach, da sie fast überall patroullieren. Einige Bewohner haben sich mit uns nachts in einsamen Straßen Tiranas verabredet. Und selbst dort wird jedes Gespräch unterbrochen, sobald jemand in der Nähe ist.

Eine organisierte Opposition kann unter diesen Bedingungen nur sehr schwer entstehen. Informationen werden von Mund zu Mund verbreitet. Schon ein Flugblatt kann zum Verhängnis werden. Jede Kritik an der Regierungspolitik ist strengstens verboten und wird mit mehrjährigen Gefängnisstrafen bestraft. Auf einer schwimmenden Badeinsel vor dem Strand der albanischen Küstenstadt Dürres erzählten zwei Albaner über Demonstrationen in der 20 Kilometer entfernten Stadt Kavaja. Bei dem Spiel der albanischen Fußballiga „Besa -Kavaja“ gegen „Parizana-Tirana“ im März riefen die zahlreichen Fans: „Demokratie“ und „Nieder mit der Hoxha Familie“. Bücher von Enver Hoxha wurden verbrannt. Danach zogen die Demonstranten durch die Stadt. Die Demonstration soll von einer Spezialeinheit, Abteilung 326 der „Segurimi“ aus Tirana, blutig niedergeschlagen worden sein. Auch gegen zahlreiche Frauen sei brutal mit Gummiknüppeln vorgegangen worden. Vier oder fünf Tote soll gegeben haben. In Kavaja wurde eine Woche lang gestreikt, dann wurde der Widerstand mit Extrarationen von Lebensmitteln wie Kaffee gebrochen.

In Albanien haben zwar faktisch alle was zu essen, aber das Angebot ist sehr begrenzt. Fleisch, Butter und sonstige Milchprodukte sind rationiert. Um die Bevölkerung ruhig zu halten wurde zwei Tage vor dem Besuch vor UNO -Generalsekretär Perez de Cuellar Mitte Mai von der albanischen Regierung ein umfangreiches Reformpaket bekannt gegeben. Allen AlbanerInnen wurde ein Reisepaß versprochen mit dem sie ins Ausland reisen dürften. Bis heute haben jedoch nur wenige einen Reisepaß bekommen. Das Vertrauen und die Geduld in die Regierung ist bei vielen Menschen verlorengegangen.

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