: Noch 79 Tage Souveränität
■ Die Koalitionsvereinbarung vom 12. April 1990 ist zugleich eine Antwort auf den Bonner Staatsvertragsentwurf
Währungsunion am 1. Juli, Anschluß nach Artikel 23, NATO -Mitgliedschaft für ganz Deutschland: das sind die Kernpunkte des 50-Seiten-Koalitionspapiers, mit dem die DDR ab Donnerstag regiert wird. Man hofft, mit den vereinbarten Positionen das Gesicht des vereinigten Deutschlands prägen zu können. 79 Tage hat die Regierung noch Zeit, um Eigenes zu schaffen. Bis dann muß der Staatsvertrag mit der BRD vereinbart sein. Nächsten Donnerstag beginnen die Verhandlungen, zu denen die Koalitionsvereinbarung als DDR -Grundsatzpapier vorgelegt wird.
Die NATO freute sich zuerst. Wenige Stunden nach der Veröffentlichung der Koalitionsvereinbarung erklärte ein NATO-Diplomat in Brüssel seine Genugtuung darüber, daß die Mitgliedschaft des vereinigten Deutschlands im westlichen Militärbündnis jetzt auch von der DDR akzeptiert wird. Dies sei „sehr hilfreich“ und „auf einer Linie mit unserer Politik“, begrüßte auch das Weiße Haus in Washington diesen Teil des Papiers.
Um 9 Uhr am Donnerstagmorgen erst war die Koalitionsvereinbarung unterzeichnet worden, nach hektischen Verhandlungen. Über die Schwierigkeiten dabei verlauteten nur Gerüchte. Manches sei wörtlich aus dem SPD-Wahlprogramm abgeschrieben, verbreiteten Sozialdemokraten, und der Eklat, den die DSU mit ihrem „Grundsatzpapier“ am Mittwoch ausgelöst hatte, paßte in dieses Bild. Möglicherweise förderte das Vorpreschen des rechtskonservativen Koalitionspartners auch die Einigkeit unter den großen Parteien. Nach anfänglicher Skepsis wurde nämlich im Laufe des Mittwochabends klar, daß die Vereinbarung doch noch rechtzeitig zur Volkskammersitzung unter Dach und Fach gebracht werden konnte. „Das haben wir mitgetragen, ohne wesentliche Wahlaussagen verlassen zu haben“, erklärte der CDU-Fraktionsvize Wieczorek zum Ergebnis. Auch SPD -Vorsitzender Meckel zeigte sich zufrieden, wenngleich der von seiner Partei vorgeschlagene „Rat zur Deutschen Einheit“ gekippt wurde.
Wesentliche Punkte des Papiers sind die Anvisierung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zum Stichtag 1. Juli. Die DDR wird mit Artikel 23 des Grundgesetzes Teil eines vereinigten Deutschlands. Dieses Deutschland soll für eine Übergangszeit NATO-Mitglied bleiben. Auf sozialem und wirtschaftspolitischem Gebiet wird ein behutsamer Übergang zu marktwirtschaftlichen Verhältnissen skizziert.
D.J.
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