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Nobelpreis fürs Pokern mit offenen Karten

Die Professoren James Mirrlees und William Vickrey forschen über Steuern und Auktionen  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Eine Frau will eine antike Vase verkaufen. Wie aber kann sie herausfinden, wer ihr dafür am meisten Geld geben würde? Die Interessenten werden ihr aus taktischen Gründen keine ehrliche Antwort geben – denn sie wollen das gute Stück ja möglichst billig bekommen. Bieten sie einen höheren Preis, als sie eigentlich zahlen wollen, so gehen sie das Risiko ein, die Vase zu teuer zu bezahlen – und lassen vielleicht lieber die Finger ganz davon. Bieten sie weniger, als sie bereit sind zu geben, so schnappt ihnen vielleicht jemand anderes die Vase weg. Die Lösung des Problems: Jeder gibt seine ehrlichen Preisvorstellungen ab. Der Meistbietende bekommt die Antiquität zum Preis des zweithöchsten Gebots.

Auf diesem Prinzip basiert die Vickrey-Auktion, so genannt nach William Vickrey (Jahrgang 1914) von der New Yorker Columbia- Universität. Zusammen mit James Mirrlees (Jahrgang 1936) von der Uni Cambridge erhält er dieses Jahr den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Das gab gestern das Preiskomitee in Stockholm bekannt. „Ich bin froh, daß die Zeit der Neoklassiker bei den Nobelpreisträgern damit vorbei ist“, kommentierte der Berliner Wirtschaftsprofessor Michael Bolle.

Die beiden ausgezeichneten Mikroökonomen beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit Situationen, in denen Leute mit „asymmetrischen Informationen“ zu Entscheidungen kommen müssen. Zentraler Inhalt dieser Forschungsrichtung, die es seit Mitte der 60er Jahre gibt, sind die Einflüsse von Anreizen und Erwartungen auf wirtschaftliche Entwicklungen. Mirrlees hat in seiner Theorie der optimalen Steuern darauf hingewiesen, daß Steuererhöhungen nicht automatisch zu höheren Einnahmen führen, weil die Leute beispielsweise weniger arbeiten und es so zu Verzerrungen und Effizienzverlusten kommt. Die – theoretische – Lösung solcher asymmetrischen Informationen von Staat und Steuerzahlern sind Konstruktionen, bei denen die besser informierten Individuen ihr Wissen preisgeben, ohne dabei ihr Eigeninteresse zu vernachlässigen.

Die Theorierichtung, der die beiden Nobelpreisträger zuzurechnen sind, beschäftigt sich auch mit den Einflüssen auf die Preisgestaltung beim Versicherungs- und Gebrauchtwagenmarkt und untersucht das Pokern von beiden Seiten bei Einstellungsgesprächen. Die Ökonomen erteilen planwirtschaftlichen Vorgaben eine Absage, weil sie die persönliche Motivation und andere, die Effizienz beeinflussende Faktoren ignorieren.

„Die Modellierung von asymmetrischen Informationssystemen aber bereitet den Theoretikern noch immer Kopfzerbrechen“, sagt Helmut Bester, Professor für Wirtschaftstheorie an der Freien Uni Berlin. Denn bei der Analyse von hohen Preisen beispielsweise sei eine eindeutige Erklärung oft nicht möglich. Deutet der Preis auf hohe Qualität hin? Oder glaubt der Verkäufer, bei hohem Preis würden seine Kunden eine hohe Qualität unterstellen und deshalb die Ware kaufen? „Es gibt mehrere Möglichkeiten für ein Gleichgewicht. Konkrete Prognosen sind deshalb schwierig“, so Bester.

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