: Nina (16): „Mehmet ist ganz normal“
■ Türkische Jugendliche protestierten vor der Disco „Capitol“ gegen deren Einlaßpraxis
Wie jeden Samstag fährt ein Mittelklassewagen nach dem anderen vor der Riesendiskothek „Capitol“ in Oyten vor, mit Kennzeichen wie VER, WHV, MI, ROW, HB ... In der Disco züngeln wie immer grüne Scheinwerfer durch die Arena, sitzen an den Tischchen Girlanden von Blondinen, dümpeln an den Theken frischgefönte Jungmänner. Anders als sonst aber sind noch um 23 Uhr diverse Barhocker frei. Manche sind offenbar in andere Discos gefahren, andere tanzen heute mal draußen: Anders als sonst steigt heute unter freiem Himmel eine kleine Konkurrenz-Disco, veranstaltet von türkischen Jugendlichen aus Tenever, von jenen jungen Männern, denen die „Capitol“-Wächter Abend für Abend den Zugang verwehren.
Dort allerdings gab es weder Techno noch Pop, dort spielte die Teneveraner Musikgruppe Derya auf, und die Folkoregruppe Motif-Birlesim tanzte. Fußwippend in der Traube um die Musikgruppe Mark (20) mit seinem Freund Orhan (20). Mark geht aus Solidarität mittlerweile seltener ins „Capitol“. Wenn man in Tenever aufgewachsen sei, habe man eben türkische Freunde.
Zu den befürchteten Krawallen kommt es nicht. Daß Achims Rechte kommten wollten, erweist sich als Gerücht. Und die türkischen Jugendlichen halten sich an ihre Abmachung mit der Polizei, die Disco um Mitternacht zu beenden und nicht anschließend noch zum „Capitol“ zu ziehen. Die Polizei wiederum ist zunächst nur in Zivil vertreten. Erst gegen Ende kurven Wannen übers Gelände.
In auffallender Menge vertreten ist jedoch die Presse. Fernsehreporter schnappen sich Türken, bauen sich vor den Ordnern auf (Licht an, Kamera läuft) und sagen: „Das ist Mehmet, darf der heute rein?“ Mehmet darf trotz Kamera nicht. Die livrierten türkischen und deutschen Ordner drängen ihn ohne nähere Begründung ab.
Immer wieder jedoch werden auch Türken eingelassen ohne jeden Disput. „Stammgäste“ sagen die Türsteher dann. Die „Capitol“-Betreiber wehren sich gegen den Vorwurf des Rassismus: „Wir wollen keine Randale bei uns, egal von wem. Wir werden auch weiterhin Leuten und Gruppen – gleich welcher Nationalität – den Einlaß verweigern, wenn wir Störungen und Tätlichkeiten von ihnen befürchten müssen“, schreiben sie auf einem Flugblatt. Der Betreiber habe Videos von einem Überfall mit Baseballschlägern durch Türken, berichtet ein Polizeibeamter, der an diesem Abend eventuell auftretende Krawalle filmen soll.
Nina, die Freundin des soeben abgewiesenen Mehmets, ist sauer: „Mehmet ist doch ganz normal“, sagt sie, „aber die, die richtig hart aussehen, die kommen rein“. Die Sozialarbeiterin Biruthe Freimuth bestätigt: „Mehmet ist auf gar keinen Fall ein Schläger, das ist ein sehr sensibler Junge.“ Sie weiß, wie es in den türkischen Jungs gärt, die sie im Freizi Tenever betreut: „Die finden das furchtbar erniedrigend, wenn hinter ihnen vierzg Leute in der Schlange stehen, und sie werden nicht eingelassen.“ Und wie soll er „Stammgast“ werden, wenn er sowieso nie reingelassen wird, klagt Mehmet.
Vor eindreiviertel Jahren, als die Disco eröffnete, stand die Tür jedem offen, berichtet Disco-Bestizer Lüdemann. Doch „gewisse Ereignisse“ hätten ihn eines Besseren belehrt: Mache ein Deutscher eine Bierflasche scharf, könne er den problemlos rausschmeißen. Benähmen sich Türken daneben, könne er von seinem Hausrecht nicht Gebrauch machen und sie rausschmeißen, ohne eine Massenschlägerei zu riskieren. Die türkischen Jugendlichen nämlich solidarisierten sich sofort massenhaft untereinander und drohten, den Laden kurz und klein zu schlagen.
Die Ausländerbeauftragte Dagmar Lill (SPD), die den Jugendlichen Tips für die Feten-Organisation gab, will gar nicht leugnen, daß türkische Jugendliche unter bestimmten Voraussetzungen aggressiver reagierten – aber das habe Ursachen: Sie merkten nämlich jetzt, daß sie, obwohl bereits in der zweiten und dritten Generation hier, anders behandelt werden als ihre deutschen Gleichaltrigen. Was Wohnungen oder Arbeitsplätze angehe, nur zum Beispiel. „Trotzdem sind das unsere Jugendlichen“. Ein Diskobetreiber habe sich eben was einfallen zu lassen, und sei es, Sozialarbeiter einzustellen. Von getrennten türkischen Pop-Nächten, wie sie das „Modernes“ veranstalte oder der XL-Club plane, hält Dagmar Lill nichts. „Das kann keine Lösung sein im Sinne der Integration.“ cis
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen