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„Nie war Genscher wertvoller als heute“

■ Der FDP-Bundesparteitag stützt Genscher geschlossen im Raketenstreit / Dritte Null-Lösung nicht ausgeschlossen / Nach erregter Debatte ein unverbindliches Jein zur Daimler/MBB-Fusion / Pflichtbekenntnis zur Koalition / CDU freut sich über den lustlos-treuen Partner

Berlin/Köln (dpa/ap/taz) - Stehende Ovationen und ein traumhaftes Abstimmungsergebnis in der Entschließung zum Raketenstreit signalisierten auf dem Bundesparteitag der FDP in Köln, worauf die Überlebenshoffnungen der Liberalen zielen: Bundesaußenminister Genscher und seine „verläßliche Politik“. „Die Partei“, so ein Delegierter, „würde unheimlich schlecht dastehen, wenn sie nicht diesen Außenminister hätte“. - „Nie war Genscher wertvoller als heute“, faßte ein anderer das eigentliche Motto des Parteitages. So verwunderte es am Sonntag mittag auch niemanden mehr, als der von Genscher begründete Leitantrag zum Raketenstreit bis auf eine Enthaltung einstimmig angenommen wurde. Darin bekräftigte die FDP, wofür Genscher immer wieder geworben hatte: Die Aufnahme von Verhandlungen über nukleare Kurzstreckenraketen ist dringlich, eine Beseitigung aller landgestützten Kurzstreckenraketen und der nuklearen Artilleriemunition darf nicht ausgeschlossen und Entscheidungen dürfen nicht vor 1992 getroffen werden.

Zur Einstimmung der Delegierten hatte Bildungsminister Möllemann ordentlich vom Leder gezogen: Sollten CDU/CSU von diesen Positionen abrücken und in Brüssel einknicken, platze die Koalition. „Die FDP-Minister und die ganze Partei“, so Möllemann, „stehen für eine andere Außenpolitik nicht zur Verfügung“. Beifall gab es auf dem Parteitag immer dann, wenn das Idol Genscher gelobt wurde. So konnte sich Parteichef Lambsdorff auch nur für seine Feststellung „Deutschland braucht mehr Genscherismus“ der ungeteilten Zustimmung in der Halle erfreuen, hatte aber ansonsten den undankbaren Part zu übernehmen, Wege aus der Misere der Partei zu beschreiben. Sein Rezept: Die politische Mitte muß wieder gestärkt werden. Er warf CDU und SPD vor, sie seien unfähig, die „Ränder des Parteiensystems“ zu reintegrieren. Die CDU solle nicht den Fehler machen, die „Republikaner“ durch Übernahme ihrer Parolen salonfähig zu machen. Die SPD andererseits hätte die Bekämpfung der Grünen längst aufgegeben. Trotz aller Irritationen versuchte der Parteichef, seine Fußtruppen auf eine Fortsetzung der herrschenden Koalition einzuschwören. Die SPD sei längst nicht reif, wieder die Macht zu übernehmen.

Viele Delegierten mochten den Einschätzungen ihres Parteichefs nicht ganz folgen. In der Aussprache überwogen die Pessimisten, die die FDP in der schwersten Krise ihrer Geschichte sehen. Wie wenig die FDP außer dem Aktivposten Genscher zu bieten hat, wurde auch am Samstag abend in der Debatte um die Mammut-Fusion Daimler/MBB deutlich. Eingezwängt zwischen dem Wunsch, Profil zu zeigen, und der Einsicht, daß einer der ihren ihnen die Elefantenhochzeit eingebrockt habe, verhedderten sich die Delegierten in einer teilweisen chaotischen Debatte, in deren Verlauf Lambsdorff den Leitantrag des Vorstands zurückzog, um eine Formulierung des hessischen Landesverbands durchzubringen. Darin heißt es, man wolle der Ministerentscheidung Haussmanns nicht vorgreifen - der Minister solle aber nach Möglichkeiten suchen, die mittelständische Industrie bei der Fusion zu schützen. Ein Antrag, die Fusion zu verbieten, wurde knapp abgelehnt.

In ersten Reaktionen zeigte sich die CDU befriedigt über die Lambdsdorff-Rede. Reaktionen auf den Raketenbeschluß standen bei Redaktionsschluß noch aus.

JG

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