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Archiv-Artikel

Nie mehr Kamelle für alle

Beim politischen Aschermittwoch der NRW-SPD in Köln rechtfertigt Bundesfinanzminister Peer Steinbrück unpopuläre Vorhaben der Bundesregierung und lässt seiner Abneigung gegen den früheren grünen Koalitionspartner freien Lauf

KÖLN taz ■ Treffender als Jochen Dieckmann hätte man es nicht formuliert können: „Das war eine Aschermittwochsrede, sie hat uns ernüchtert“, sagte der SPD-Landesvorsitzende in der ihm eigenen nüchternen Sachlichkeit im Anschluss an die rund einstündigen Ausführungen seines Parteifreundes Peer Steinbrück. Ausgerechnet ihren abgewählten Ministerpräsidenten hatten die nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten als Hauptattraktion zu ihrem Politischen Aschermittwoch nach Köln geladen.

Der heutige Bundesfinanzminister hielt, was von ihm zu erwarten war: Von Selbstzweifeln nicht angekränkelt, schwor Steinbrück die Partei mit seiner bekannten Blut-Schweiß-Tränen-Rhetorik auf die herrschende Berliner Regierungspolitik ein. „Diese Große Koalition haben die Wähler verlangt“, rief er den knapp über 300 meist älteren Genossen im Kölner Gürzenich entgegen. Sie sei daher gegenwärtig alternativlos.

Ebenso wie die Politik, die sie betreibt: Ob Erhöhung der Mehrwertsteuer oder des Renteneintrittsalters – keine unpopuläre Maßnahme vergaß Steinbrück zu rechtfertigen, ist er doch überzeugt: „Wir können nicht gleichzeitig Regierung und Opposition sein.“ Die Sparpolitik der neuen Bundesregierung verteidigte er mit den Worten: „Das alte Politikprinzip ,Kamelle für alle‘ hat ausgedient.“

Ansonsten versuchte er, die neue Berliner Farbenlehre schönzureden: Die Zusammenarbeit von Union und SPD sei zwar weder eine „Harmonie-Sauce“ noch ein „parlamentarischer Glücksfall“, aber sie „könnte eine politische Chance sein, weil die gesamte Lobby, von der wir umzingelt sind, sich heute nicht mehr hinter einer der großen Parteien verstecken und sie gegeneinander ausspielen kann“. Allerdings räumte er ein, dass es auf Dauer nicht angehe, „dass wir die Arbeit machen und die anderen die Punkte“.

Außerdem solle nicht so getan werden, „als sei Rot-Grün immer eine Romanze gewesen“, betonte Steinbrück und erwähnte in diesem Zusammenhang ausdrücklich „Frau Höhn“. Wenig überraschend zeigte er sich über das Scheitern von Rot-Grün in Düsseldorf und Berlin denn auch nicht sehr unglücklich. Stattdessen hob er positiv hervor, dass die Wahlen „ein endlagerhaftes Nein gegen einen ökoautoritären Vormarsch“ bedeutet hätten. Seiner inbrünstigen Abneigung gegenüber dem früheren Koalitionspartner ließ Steinbrück freien Lauf, als er ihm unterstellte, versucht zu haben, „selbst die Noppenanzahl von Gummimatten in Schweineställen in Deutschland zu kontrollieren“. Auch für eine andere Oppositionspartei hatte er nur Spott übrig: „Die Ewiggestrigen in den neuen Ländern haben wieder einen Saarländer gefunden, diesmal aus freien Stücken“, so Steinbrück mit Blick auf die Linkspartei ohne den Namen Lafontaine in den Mund zu nehmen.

Die SPD warnte Steinbrück, der auch stellvertretender Bundesvorsitzender ist, im Zuchtmeisterton vor Selbstzweifeln und innerparteilichen Flügelkämpfen: „Gelegentliche Sado-Maso-Praktiken in der Partei sollten der Vergangenheit angehören.“ Stattdessen sollte die eigene erfolgreiche Politik stärker betont werden: „Wir brauchen keine Selbstgeißelung und kein politisches Flagellantentum.“ Als hätte er es gewusst, hatte schon vor Steinbrücks Auftritt der Kabarettist Wilfried Schmickler dessen Rede treffend auf den Punkt gebracht: „Motto: SPD- total abgefahren!“

PASCAL BEUCKER