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Nie mehr 2. Geige!

Demokratische Klangwelten: Die „Junge Deutsche Philharmonie“ in der Musikhalle  ■ Von Kathrin Dietzel

Orchestermusiker zu sein, bedeutet allzu oft, ewig die zweite Geige zu spielen. Die strenge Hierarchie im traditionell organisierten Orchester lässt kaum eine Mitbestimmung der Musiker zu; junge Musiker laufen dabei oft Gefahr, zwischen den verbeamteten Orchestermitgliedern unterzugehen. Zu den wenigen Versuchen, die Spielpraxis anders zu organisieren, zählt die vor 25 Jahren gegründete Junge Deutsche Philharmonie. Die Musiker agieren in verschiedenen Rollen, es gibt wechselnde Solisten und Dirigenten, Programmentscheidungen werden kollektiv getroffen. Zum Erstaunlichs-ten an der Arbeit dieser allesamt jungen Künstler gehört, dass sie sich wie selbstverständlich der zeitgenössischen Musik zugewendet haben, um die zentimeterdicke Staubschicht vom musikalischen Kulturbetrieb zu pusten.

Unter dem Motto Klangräume präsentiert das Ensemble am 28. März Werke von George Crumb, Samuel Barber und Hector Berlioz. Was die drei eigentlich sehr verschiedenen Komponisten verbindet, ist ihr Interesse am klanglichen Impressionismus. „Ich war immer an diesen feinen, zerbrechlichen Farbtönen interessiert“, sagt George Crumb, der unlängst seinen 70. Geburtstag feierte. „Die Klanglichkeit ist ein wichtiger Aspekt meiner Musik, vielleicht wichtiger als Melodik, Harmonik und Rhythmus.“

Nicht westliche Klänge aus Asien, Afrika und Südamerika oder die tonalen Möglichkeiten einer singenden Säge färben seine Kompositionen. 1968 setzte der Amerikaner zum ersten Mal elektronisch verstärkte Instrumente ein. In seinem groß besetzten, 20-minütigen Orchesterstück Echoes of Time and the River widmet er sich den verschiedenen Ebenen musikalischer Zeit, u.a. indem er Glockeninstrumente verwendet, die mit ihren langen Nachhallzeiten großflächige Klangräume schaffen. Schließlich finden „Prozessionen“ statt, in denen sich Musikergruppen in genau festgelegten Schritten, synchron zur Musik fortbewegen sollen. Die Metapher einer Reise durch die musikalische Zeit.

Einer der beliebtesten amerikanischen Komponisten seiner Generation ist der 1910 geborene Samuel Barber, der schon in jungen Jahren die Aufmerksamkeit der musikalischen Öffentlichkeit auf sich zog. Sein Konzert für Violine und Orchester, op.14 entstand im Jahr 1939. Seine Geschichte ist dabei geradezu beispielhaft für die Schwierigkeiten, die Neue Musik oftmals zu überwinden hat.

Barber hatte einen Kompositionsauftrag für ein Violinkonzert erhalten hatte, das dem jungen Geiger Iso Briselli zugedacht war. Doch bereits mit den ersten beiden vorgelegten Sätzen war Briselli komplett unzufrieden: Die Darstellung seiner virtuosen Fingerfertigkeit komme da-rin zu kurz. Barber versprach Besserung und komponierte ein energetisches „Presto in moto perpetuo“, das der junge Briselli daraufhin als „unspielbar“ abtat. Zum Schaden des Komponisten: Barber musste damals sein Honorar zurückzahlen. Heute gilt das Werk als eines der wenigen Violinkonzerte des 20. Jahrhunderts, die sich fest in den Konzertprogrammen halten konnten.

Die zweite Hälfte des Programms füllt Hector Berlioz' Symphonie fantastique. Mit diesem 1830 entstandenen Werk wurde die musikalische idée fixe geboren, bei der ein Melodiethema, die ganze Sinfonie hindurch identisch oder etwas abgewandelt immer wieder auftaucht.

Zudem stellte Berlioz seinem Werk einen Begleittext voran, der die romantische Imagination des Zuhörers leiten sollte. Der handelt von einen Künstler, der in geradezu krankhafter Obsession eine Frau anbetet (1.Satz) und auf jedem Ball nur sie zu sehen glaubt (2.Satz); der Ruhe auf dem Land sucht und doch nur Leere findet (3.Satz); der im Opiumrausch Träume von seiner Hinrichtung hat (4. Satz) und weiter träumt von seiner Grablegung, die Hexen, Fratzen und Totenglocken begleiten (5.Satz). Diese klaren Interpretationsanweisungen brachten der Sinfonie den Ruf ein, das erste Stück „Programmmusik“ zu sein.

Frank Peter Zimmermann übernimmt den Solopart in Samuel Barbers Violinkonzert und Dirigent ist der Generalmusikdirektor der Bochumer Symphoniker. Er wird, in der demokratischen Tradition des Orchesters, zusammen mit den Musikern der Jungen Deutschen Philharmonie vor dem Konzert in das Programm des Abends einführen.

heute, Musikhalle, 19.30 Uhr

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