: Nichtwähler (noch) gescheit?!
■ betr.: „Mein Kreuz gehört mir“ von Bruno Preisendörfer, taz vom 15. 9. 98, S. 15
Die Biertisch-Mentalität muß nicht dumpf und treudeutsch, sondern kann auch intelligent und belesen daherkommen, letztendlich genauso platt und überheblich. Zunächst enthält der Artikel nicht, was die Titelunterschrift verspricht, ein Argument, warum sich Nichtwählen mit intensivem demokratischen Engagement verträgt. Obwohl grad dies Argument am leichtesten fällt, denn politisch engagierte Menschen sind meist ziemlich von der Parteienpolitik enttäuscht – und natürlich am meisten von der Partei der eigenen Wahl.
Aber der Autor vertritt eine andere Spezies – sich selbst als überlegenen Politik-Durchblicker, der am liebsten natürlich der einzige gescheite Nichtwähler wäre. Das ist sein virtueller Hochgenuß. Aber es sind letzendlich nur schale Biertischfreuden, bei denen der Autor auch noch – aus seinem Text zu schließen – allein vor dem Fernseher sitzen muß. Das Nichtwählen ist in jedem Fall die rationalere Attitüde, weil sie sich nicht mit den Irrationalitäten der politik un der Fehlerhaftigkeit der je zur Wahl stehenden Alternativen beschmutzen muß. Das Nichtwählen ist in jedem Fall die rationalere Attitüde, weil sie sich nicht mit den Irrationalitäten der Politik und der Fehlerhaftigkeit der je zur Wahl stehenden Alternativen beschmutzen muß. Und da der Autor den Wahlboykott voraussetzt, bleibt er der eine, der reine, der einzige Nichtwähler.
Es fehlt natürlich auch nicht der abgeschmackte Vergleich menschlichen Verhaltens mit der ZOOlogie. Was also, frag ich mich, wählt er, wenn er nicht wählt? Er wählt das Amusement, sich über die zu mokieren, die sich alsdann ärgern müssen über die Machtlosigkeit der Politik und die unangenehmen Kompromisse, die ihre Politiker eingehen werden – er will sein Kreuz nicht tragen. Übrigens kann er noch wählen gehen, auch wenn er seine Wahlbenachrichtigung wewggeschmissen hat! Burkhart Braunbehrens, Ebertsheim
Wie politisch dumm dieser Superkluge ist (denn natürlich kennt nur er den Unterschied zwischen Mehrheits- und Verhältniswahlrecht) zeigt er schon darin, daß er nicht weiß, daß er auch ohne Wahlbenachrichtigungskarte wählen kann. Aber vielleicht besitzt er ja keinen Personalausweis, oder er hat vergessen, wo sich sein Wahllokal befindet. Dr. Leonhard Hilbert, Frankfurt/Main
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen