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„Nichts wurde anders, wir werden es ändern“

■ Zum hundertsten Jahrestag der Abschaffung der Sklaverei gedachten Brasiliens Schwarze eines Tages, an dem es für sie nichts zu feiern gibt / Das „Movimento Negro“ rief zum ersten Marsch der Schwarzen in der Geschichte Brasiliens auf

Aus Rio Nina Hellenkemper

Ist Präsident Sarney zurückgetreten? Gab es einen Staatsstreich, eine Militärintervention in Rio de Janeiro?, fragten sich Tausende von Bürgern am Mittwoch nachmittag in der Innenstadt von Rio de Janeiro. Mitnichten. Um die sterblichen Überreste eines Nationalhelden zu schützen, mobilisierte die brasilianische Armee das größte Militäraufgebot, das seit dem Putsch von 1964 in der Avenida Presidente Vargas gesehen wurde. Rund 5.000 Militante des Movimento Negro hatten sich zum ersten Marsch der Schwarzen in der Geschichte Brasiliens zusammengefunden. Zwei Tage vor dem 13. Mai, dem hundertsten Jahrestag der Abschaffung der Sklaverei in Brasilien, einem Tag, an dem es für sie nichts zu feiern gibt, gingen die Schwarzen auf die Straße. „Sie haben uns aus der Sklavenhütte befreit, um uns als Gefangene in der favela zu halten. Nichts hat sich geändert, jetzt werden wir es ändern“, rief Joao Ramao, einer der Führer des Movimento Negro, der Menge zu. Da waren die Leute aus den favelas auf den Hügeln, den „morros“, die Menschen aus den schwarzen Basisgemeinden aus den Vorstädten, die bloques afoxefs, die schwarzen Schüler in Schuluniformen - als ginge es um ein Defilee der Samba–Schulen, bildeten die einzelnen Gruppen „alas“ (Flügel) vor und hinter den Crios electricos, jenen mit großen Lautsprechern zur Bühne umgerüsteten Lastwagen. Bekannte Sänger und noch unentdeckte Talente rissen sich das Mikrophon aus der Hand, um die Menge mit schwarzer Musik aus Bahia aufzu heizen. Die Stimmung war äußerst gespannt. Wochen vor der Demonstration waren Flugblätter der kirchlichen Basisgemeinden zirkuliert, die den Duque de Caxias, den Patron des brasilianischen Heeres und erfolgreichen Feldherrn im Krieg Brasiliens gegen Paraguay (Ende des 19. Jahrhunderts) für den sinnlosen Tod zehntausender schwarzer Soldaten verantwortlich machten. Sein Denkmal stand dem Marsch der Schwarzen im Weg - sozusagen auf halbem Weg zu ihrem eigenen Helden, dem Monument für Zumbi, den erfolgreichen schwarzen Kriegsherrn von Palmares. Der Marsch für die Freiheit endete nach 1.500 Metern. Dann blockierte die Armee die Straße. Schlagstöcke, Schilde, Helme, die Reihen fest geschlossen. „Wir müssen Krieger wie Zumbi werden“, hieß es auf den Transparenten - doch die Demonstranten entschieden sich gegen eine direkte Konfrontation. „Wir haben diese Straße gebaut, auf der ihr uns verbietet zu gehen“, rief Januario Garcia, einer der bekanntesten Militanten, den Uniformierten zu. „Mehr als 100 Schwarze sind in den letzten Monaten in Rio de Janeiro von der Militärpolizei erschossen worden.“ Wut– und Ohnmachtsgefühle machten sich in der Menge breit, die über zwei Stunden auf der Stelle verharrte. Erst gegen acht Uhr abends entschieden sich die schwarzen Gruppen für eine Änderung der Wegroute. Doch zu Zumbi kamen sie nicht. Die Soldaten blieben bis Mitternacht. Mehr zur Geschichte auf den Seiten 16 und 17

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