: Nicht standesgemäß
■ James Ivorys Erotik der Entsagung
Man sagt nicht viel über diesen Film, wenn man seine story erzählt. Es ist ein Liebesfilm. Aber der heftigste Ausbruch von Leidenschaft ereignet sich, wenn die Frau dem geliebten Mann in stummer Aunstrengung die Finger von einem Buch zu lösen versucht, um hinter den Titel und vielleicht ein Geheimnis zu kommen. Endlich schafft sie es: ein sentimentaler Liebesroman. Den wirklichen muß er sich versagen, bis zum Schluß zugeknöpft unters Kinn. Er (Anthony Hopkins) ist Butler, sie (Emma Thompson) Hausdame. Es gehört zu den Überzeugungen seines Standes, daß Liebschaften im Personal unziemlich sind.
Die Szene spielt auf einem englischen Landsitz 1938. Sein Besitzer Lord Darlington macht ihn zum Schauplatz seiner dubiosen Vermittlungsversuche zwischen dem Deutschland der Nazis und englischen Politikern, Gelegenheit zu üppiger Küche, eleganten Toiletten und festlichen Candlelight- Dinners. Der Lord ist ein Ehrenmann, dessen honorige Absichten allerdings in der Politik nichts als Unheil bewirken. Man weiß es spätestens, wenn die Schwarzhemden auftauchen und das jüdische Personal gekündigt wird.
Die beiden Handlungen sind nur zum Schein beziehungslos. Der Lord ist ein Dilettant in der Politik, sein Butler einer in der Liebe. Beide gehen leer aus. Der Lord wird nach Kriegsende als Verräter geschnitten, der Butler von der Hausdame verlassen, die unglücklich einen Anderen heiratet. Das alles liegt 20 Jahre zurück, wenn der Film beginnt. Wir erfahren es in Erinnerungsbildern des Butlers, der wieder mal Personalprobleme zu lösen hat. Lord Darlington ist vereinsamt gestorben, sein Schlößchen an einen reichen Amerikaner gefallen, der den Billardtisch durch eine Tischtennisplatte ersetzt, von Profession übrigens Politiker. Der Butler sucht eine neue Hausdame, und da scheint sich die Gelegenheit zu bieten, die frühere wiederzugewinnen, nun vielleicht zu mehr als einem kollegialen Verhältnis. Am Ende zeigt sich aber, es ist zu spät. Sie kehrt zu ihrer Familie zurück, er in seine Dienste zu seinem neuen Herrn auf Darlington Hall. Die Abschiedsszene auf der Landungsbrücke eines Seebades – die Neonröhren der 50er Jahre flackern auf, und es regnet – könnte ein Zitat aus den Desillusionsromanen des 19. Jahrhunderts sein, von Flaubert oder dem Dänen Jakobsen: eine andere „Education Sentimentale“ mit ähnlich melancholischem Ausgang. Tatsächlich hat Ruth Prawer Jhabvala ihr Buch für James Ivorys Film nach einem Roman des Japaners Kazuo Ishiguro geschrieben. Literarisch ist vor allem die Liebeshandlung – im Sinne von Verinnerlichung. Nur in minimalen Gesten tritt sie ins Bild: Der Blick des Mannes, der der Frau durch das runde Fenster einer Schwingtür folgt oder durch ein Schlüsselloch.
Für Besucher aus Berlin: Die Schloßmauern wirkten durchaus solide, aber die Bibliothek war auch schon nur bemalte Pappe. Gert Mattenklott
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