: Nicht nur lüstern
■ In der Staatsoper räumt Willy Decker mit der sinnlichen Schwüle der Salome auf
Salome ist eine sinnliche, verwöhnte junge Frau. Sie verliebt sich in Jochanaan, der sie aber verschmäht. Da verliert sie den Kopf und fordert den seinen. Klare Sache: Salome ist ein Ungeheuer, ein perverses kleines geiles Geschöpf.
So kennt sie zumindest die Volksseele, wenn die Salome von Richard Strauss auf den Bühnen erscheint. Willy Decker, der die Oper in Hamburg neu inszeniert, hat eine andere Vorstellung von der Dame: Er will aufräumen mit der „sinnlichen exotischen Schwüle“. Für ihn ist die Königstochter eher eine unberührte junge Dame, die naive Bedürfnisse nach Nähe verspürt in einer kaputten Welt. Ihr Vater Herodes, der die gebildete griechische Oberschicht repräsentiert, gibt sich kühl und unfähig zur Kommunikation. Da erscheint der arme Prophet Jochanaan und flucht über das sündhafte Königspaar – endlich ein Mann, der sich was traut. Salome wird neugierig und will ihn betasten – nicht etwa, weil sie nur lüstern ist, nein: Sie will ihn besitzen, denn das ist die einzige Form der Kontaktaufnahme, die sie in ihrer Welt gelernt hat.
Doch da sind wir schon beim nächsten Tabu: Der Vater gafft Salome ständig an, seine Blicke sind für die Tochter wie Berührungen, sie will ihnen entfliehen. Trotzdem tanzt sie für ihn den berühmten „Schleiertanz“ – und hat dabei immer den Geliebten vor dem inneren Auge.
Das Bühnenbild für diese Interpretation ist nicht nur schmuck- sondern auch farblos: grau, soweit das Auge reicht. Das Licht strahlt diffus wie Mondlicht – stellt doch der Mond im Libretto eine Projek-tionsscheibe dar für die Wünsche der Darstellenden, die nie direkt miteinander sprechen, sondern blutleer durch Anspielungen kommunizieren. So symbolisiert das bleiche Mondlicht auch die Morbidität dieser Welt und die unsichtbaren Dinge, die zu ihr gehören.
All das klingt wunderbar psychologisch und ausgedacht. Doch ist damit die Salome nicht wieder nur ein anderes Klischee von Frau? Die bleiche, blutleere, die keine sexuellen Bedürfnisse zeigen darf? Dramaturg Klaus Angermann: „Nein. Die Salome möchte ja gerade dem blutleeren Treiben ihrer Gesellschaft entfliehen. Nicht sie ist dem Mond gleichzusetzen, sondern die Gesellschaft sieht sie so. Natürlich ist die erotische Seite der Salome auch noch da – ohne dies wäre der Stoff ja gar nicht denkbar.“
Den Taktstock für die Salome hebt der mehrfach preisgekrönte Chefdirigent des Orchestre de Paris, Semyon Bychkov.
Gabriele Wittmann
9. April (Premiere), 19 Uhr, Staatsoper. Weitere Vorstellungen: 12., 18., 21., 27. und 30. April.
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