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■ Die islamistische Wissenschaft hat sich das präislamische Erbe einfach einverleibtNicht nur Versatzstück anderer Kulturen

Muslimische Theologen bezeichnen die Jahiliyya (die vorislamische Zeit Arabiens) als „das Zeitalter der spirituellen Dunkelheit“. Diese Verkennung hat jahrhundertelang nicht nur unser Verständnis der Jahiliyya verzerrt, sondern auch das des Korans. Die muslimischen Theologen scheinen vergessen zu haben, daß der Koran im wesentlichen ein Werk der Jahili ist und seine Sprache, sein Bezugssystem sowie seine Botschaft den Jahili sonnenklar war.

Die muslimischen Theologen scheinen ebenfalls zu vergessen, daß der Prophet Mohammed in seinem langen Predigerleben immer wieder betont hat, der Islam sei keine neue Religion, sondern die Fortführung der (monotheistischen) Religion Jahili Hanif, die ihre Stammväter Ibrahim (Abraham) und sein Sohn Isma'il (Ishmael) von Adam und dessen Sohn Hibatullah (Seth) geerbt haben. Der Prophet Mohammed sah in den Jahili Monotheisten, die an Gott als den Einen und Einzigen Gott glaubten, im Laufe vieler Jahrhunderte ihren Glauben jedoch verwässert und andere Götter eingeführt hatten, die sie als Mittler zwischen sich und Allah anbeteten.

Der Prophet hat immer betont, daß es die Einführung dieser Mittlergötter war, die die ursprüngliche Botschaft von Ibrahim und Isma'il korrumpiert habe, welche der Islam dann später wiederherstellte.

Eine andere Gruppe übereifriger muslimischer Theologen behauptete, der Islam sei eine neue Religion ohne jegliche Beziehung zu den Jahili. Ungerechtfertigterweise verleibten sie die kulturellen Grundbegriffe der Jahili den muslimischen Überlieferungen ein. Auch deshalb wird die Hinterlassenschaft der Jahili inzwischen ausschließlich aus muslimischer Perspektive wahrgenommen.

Die frühen Muslime interpretierten den Koran mit Rückgriff auf die Jahiliyya, betrachteten jedoch, statt den Jahili-Hintergrund des Korans zur Kenntnis zu nehmen, die relevanten Jahili-Bezüge als Echos anderer Kulturen – wie der persischen, jüdischen, griechischen, römischen, äthiopischen und assyrischen. Da die meisten frühmuslimischen Exegeten nicht arabischer Herkunft waren und der Shu'ubi, einer antiarabischen intellektuellen Bewegung, angehörten, behaupteten sie, daß der Koran hauptsächlich von ihren eigenen ethnischen Kulturen geprägt sei.

Die akademische Arabistik der letzten 200 Jahre hat die Kultur der Jahili fast vollständig unterdrückt, indem sie sie als ein eklektisches Versatzstück anderer Kulturen bezeichnete, besonders der jüdischen und der christlichen.

So behaupteten die Arabisten, daß die Jahili entweder analphabetische Nomaden oder ein halbanalphabetisches, seßhaftes Volk gewesen seien, das, kaum des Lesens und Schreibens kundig, an den Rändern der arabischen Halbinsel lebte – ohne Buchkultur und außerstande, Mythen oder gar Literatur zu schaffen.

Allerdings besteht das Problem der Arabistik darin, daß ihre Befürworter die arabische Sprache häufig nur ungenügend kennen und daher weder den Koran noch die Texte der Jahili lesen oder verstehen, geschweige denn ihre Authentizität beurteilen können. Hinzu kommt, daß Arabistik den arabischen und jüdisch-christlichen Bezug gerne übersieht.

Wenn es stimmt, was die arabische und jüdische Tradition überliefert, daß Ibrahim (Abraham) eine historische Figur und ein Vorfahre von Isma'il (Ishmael) und Isaak, den Patriarchen der Araber und der Juden, ist, und beide Söhne den Glauben ihres Vaters annahmen, folgt daraus, daß dies die Schöpfungsgeschichte sowohl der Araber als auch der Juden sein muß. Dieser gemeinsame kulturelle Besitz der Genesis führt desweiteren zu dem Schluß, daß die arabische Genesis neben der hebräischen existiert. Der allgemeine Grundzug beider Schöpfungsgeschichten bekräftigt diese These, obgleich sie sich in Detail und Gewichtung durchaus unterscheiden.

Entgegen der Ansicht muslimischer Theologen, Koranexegeten und Arabisten war die Jahaliyya eine der reichsten Perioden in der Geschichte der arabischen Zivilisation. Es war eine spirituell und kulturell fruchtbare Zeit, deren Errungenschaften die Entwicklung des Islam mitgeprägt haben und unauslöschliche Spuren in den Vorstellungen aller Völker hinterlassen haben, die unter den Einfluß des Islam gerieten.

Die Jahili haben einen großen Reichtum phantasievoller Mythen geschaffen, die jeden Aspekt ihres Lebens widerspiegeln. Der arabische Schöpfungsmythos ist eines der besten Beispiele dafür.

Der hier vorgestellte arabische Schöpfungsmythos ist eine Rekonstruktion der jahilischen Genesisgeschichte, die seit dem Beginn des Islam nur noch fragmentarisch erhalten ist. Abdullah al-Udhari

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