Nicht einschüchtern lassen: Provokation ist Freiheit

Die ganze Welt hat sich auf den Hashtag „Je suis Charlie“ geeinigt. Daran wird man sie in Zukunft erinnern müssen.

Die Freiheit zur Provokation kann man nicht verbieten, oder vielleicht doch? Bild: AP

Der Terroranschlag von Paris, die versuchte Auslöschung einer ganzen Zeitung und die kaltblütige Hinrichtung von Journalisten, Polizisten und Juden haben die Welt schockiert, Entsetzen, Angst und Trauer, aber auch eine entschiedene Haltung ausgelöst – zumindest zunächst.

Es schien als könnte sich die ganze Welt auf den Slogan „Je suis Charlie” einigen. Überwältigend und nicht selbstverständlich war diese internationale Solidarität mit Charlie Hebdo. In diesem Slogan drückte sich nicht nur Anteilnahme aus, sondern das unbedingte Eintreten für Meinungsfreiheit, der aufrichtige Respekt für den Mut der radikalen Kritik, die Wertschätzung des Freigeistigen, der Bereitschaft, Grenzen zu überschreiten – die andere gesetzt haben.

„Wir haben keine Angst!” – „Wir lassen uns nicht einschüchtern!“ - „Wir müssen im Geist Charlie Hebdos weitermachen”: Das waren Sätze, die nicht nur Journalisten sagten, sondern auch die Bürger Frankreichs.

Sind wir wirklich Charlie?

Als sich die erste Sprachlosigkeit gelegt hatte, folgte vor allem außerhalb Frankreichs eine Debatte um den Slogan. Und sie war interessant. Einerseits meldeten sich dort die Stimmen der intellektuellen Redlichkeit, die erbsenzählerisch erklärten, dass man nicht Charlie sondern Johann oder Sybille sei.

Es meldeten sich auch solche, die zwar das Massaker schlimm, aber Charlie Hebdo auch nicht ganz richtig fanden. Und es sagten Journalisten, die einschränkten, dass die wenigsten von ihnen so mutig und so radikal sind wie es Charlie Hebdo gewesen war.

Jahrgang 1974, arbeitet als Redakteurin der taz.am wochenende. Sie koordiniert unter anderem die Radiosendung „taz.mixtape“ und ist Mitgründerin und Moderatorin der „Hate Poetry“. Ihr Thema für das taz.lab ist Satire als radikale Gesellschaftskritik, denn was wirklich zählt ist die Freiheit provozieren zu dürfen, und über sich selbst lachen zu können.

Eine der schönsten Beiträge kam von Nils Minkmar, Europakulturkorrespondent der FAZ. Auf die Frage, ob er Charlie sei, antwortete er: „Ich würd's mir wünschen, aber es gehört schon ganz schön viel dazu.” Kann eine Zeitung wie die taz behaupten, Charlie zu sein? Ich denke nicht.

Ist die taz entschlossen genug, um Charlie zu sein?

Dass sich die taz am Tag nach dem Anschlag in Paris entschloss, ein schwarzes Titelbild mit der Aufschrift „Je suis Charlie” zu publizieren, nimmt sie aber in die Verantwortung. Die taz muss zumindest eines: Alles dafür tun, um Charlie zu sein. Aber was genau, heißt es, Charlie zu sein? Diese Frage muss sich die taz, die Journalisten, Intellektuellen stellen.

Reicht es aus, das saudische Königshaus, andere Gottesstaaten oder Ministerpräsidenten als Heuchler zu beschimpfen, wenn sie sich in Paris zum Totengedenken versammeln, zu Hause aber ihre Freigeister mundtot machen? Sicher nicht.

Aber wie ist es bestellt um die Radikalität der Kritik in den europäischen Demokratien? Werden provokante Gedanken zu schnell als zynisch abgestempelt? Man muss die Provokation von ihrem schlechten Ruf befreien.

Freiheit ist doch auf dieser Welt für viele immer noch eine Provokation. Und das Provozieren gehört zum Geschäft. Über dieses Geschäft, über die journalistische Notwendigkeit der Provokation werden wir auf dem taz.lab zu sprechen haben. Denn Charlie zu sein, ist kein Gedöns. Comics, Kartoons und Satire sind kein Gedöns. Wer Freiheit will, muss provozieren. 

DORIS AKRAP