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Nica-Land ist abgebrannt

■ Ortegas Europatournee bislang ohne sichtbare Ergebnisse / Noch keine Zusagen aus Bonn / Von Michael Rediske

Seit zwei Wochen reist Nicaraguas Präsident Daniel Ortega durch Westeuropa. Am Dienstag wird er sich in Bonn mit Bundespräsident von Weizsäcker, Kanzler Kohl, Außenminister Genscher und Entwicklungsminister Warnke treffen. Zur Debatte steht die Wiederaufnahme der bundesdeutschen Entwicklungshilfe an Nicaragua, die 1982 eingestellt wurde. 250 Millionen Dollar will Ortega auf seiner Europa-Tour zusammenbringen, um die durch Krieg, Handelsboykott und Kreditsperre ruinierte Wirtschaft wieder flottzumachen. Auf einer internationalen Nicaragua-Konferenz wollen am kommenden Donnerstag und Freitag in Stockholm zahlreiche Staaten über eine Wirtschaftshilfe an Nicaragua verhandeln. Zugesagt haben bereits Frankreich, Spanien, Italien, die Niederlande und sämtliche Länder Skandinaviens, Kanada und selbst der IWF. Die Bundesrepublik hat noch nicht entschieden.

Als die Kinder nach Weihnachten aus den Ferien kamen, fanden sie in ihrer Schule nur noch den nackten Fußboden vor: Pulte und Stühle waren verschwunden. Wer das Brennholz zum Kochen nicht mehr bezahlen kann, wie hier in Ciudad Sandino, einem Armenviertel vor den Toren Managuas, wird erfinderisch. Diebstahl? Nein, das ist längst als Notwehr akzeptiert. Und daß in Rivas, der südlichsten Stadt Nicaraguas, nicht wenige LehrerInnen, die von ihrem Gehalt nicht mehr leben können, sich während des Unterrichts in den Schulräumen als fliegende HändlerInnen betätigen und ihre SchülerInnen erst nach Hause gehen lassen, wenn die Aktentasche mit Salzigem und Süßem leergekauft ist, wird hier kaum als Nötigung empfunden.

Schlimmer ist, daß immer mehr Mitglieder der unterrichtenden Zunft, die in Lateinamerika nicht wie bei uns oben, sondern ganz unten auf der Gehaltsskala steht, ihren Job verlassen - oder sogar das Land. Und wenn eine Lehrerin, die als Aktivistin der Revolution galt, aus Miami schreibt, daß sie dort einen Job gefunden hat und jetzt wenigstens ihre drei Kinder durchbringen kann, dann werden es in Rivas wieder mehr, die ein Ausreisevisum beantragen.

In den letzten fünf Jahren sind rund 100.000 NicaraguanerInnen legal ausgewandert, davon ungefähr 7.000 AkademikerInnen und TechnikerInnen. Soviel, als wenn der Bundesrepublik 1,7 Millionen Menschen, darunter 120.000 hochqualifizierte Arbeitskräfte, den Rücken kehrten.

Längst wird in Nicaragua die Inflationsrate pro Monat statt aufs Jahr berechnet: Ende 1988 lag der monatliche Preisanstieg über 100 Prozent, dann bekam die Regierung die Hyperinflation (20.000 Prozent für das ganze Jahr 1988) langsam in den Griff. Im März stiegen die Konsumentenpreise „nur“ noch um 20 Prozent pro Monat. Doch die Medizin hätte für die arbeitende Bevölkerung kaum bitterer sein können: eine Stabilisierungspolitik, die den Wechselkurs und alle Preise nur noch Angebot und Nachfrage überläßt. Die Löhne stiegen dabei immer weniger als die Preise, mit dem Ergebnis, daß die durchschnittlichen Reallöhne in den letzten beiden Jahren ziemlich genau auf ein Viertel gefallen sind.

Seit der Krieg vorbei und die Contra nur noch in einigen abgelegenen Gebieten in Form kleiner marodierender Banden anzutreffen ist, sind die Stände auf den Märkten und die Regale in den Geschäften wieder voll - die Gänge, in denen eigentlich die Käufer erwartet werden, sind dafür um so leerer. Wer kann sich schon eine Rolle Toilettenpapier für umgerechnet 60 Pfennig oder ein dutzend Eier für 1,60 Mark leisten, wenn er als Arbeiter in einem Metallbetrieb 60 Mark im Monat oder sie als Hausangestellte 20 Mark im Monat verdient?

Im vergangenen Herbst, der Waffenstillstand war kaum ein halbes Jahr alt, ging es erst einmal darum, die schlimmsten Schäden, die der Hurrikan „Joan“ angerichtet hatte, zu beseitigen. Für 1989 ist das Militärbudget um 30 Prozent gekürzt worden - doch die freiwerdenden Gelder können auch nicht in die Wirtschaft investiert werden, denn mit ihnen soll das Riesendefizit im Staatshaushalt ausgeglichen werden, das in den vergangenen Jahren fast ein Viertel des Bruttosozialprodukts ausmachte.

Womit soll also die Produktion angekurbelt werden, wenn nicht mit Wirtschaftshilfe von außen? Funktionierende Fischereischiffe gibt es kaum noch, Generatoren und Transformatoren sind in so schlechtem Zustand, daß im letzten Jahr der Strom im Industrieviertel von Managua zeitweise täglich ausfiel. Und während in den Wohnhäusern für solche Gelegenheiten immer ein paar Kerzen auf Lager sind, mußten die Arbeiter in den Fabriken stundenlang neben ihren stillstehenden Rädern warten, und in der Plastikindustrie verklebte die mitten im Arbeitsgang erkaltende Kunststoffmasse die Maschinen.

Fährt man von der Hauptstadt aus die Panamerikanische Straße nach Norden, dann kommt man vorbei an dem riesigen Zuckerkomplex Timal, der aufgrund des weltweit lächerlichen Zuckerpreises bisher nur Verluste einfährt; vorbei geht es an der einen oder anderen ausgemergelten Kuh auf den weitgestreckten Weiden, die kurz vor Ende der Trockenzeit so ausgedörrt sind, daß man sich fragt, wie die Viecher überhaupt noch einen Halm finden: Hinter dem Ort Sebaco mit seiner neuen Konservenfabrik führt die Straße ins Gebirge, nach Esteli. Die Bauern müssen um diese Zeit eigentlich längst dabei sein, den Boden für die Aussaat vorzubereiten, bevor in Kürze die Regenzeit beginnt. Aber letztes Jahr sind ihnen nach der Ernte fast nur Schulden geblieben. Denn als sich die Konsumentenpreise jeden Monat verdoppelten, berechnete ihnen die Bank dreistellige Zinssätze (pro Monat). Das Getreide aber hatte ihnen der Staat noch bei Beginn der Ernte zu einem relativ niedrigen Preis abgekauft.

Um das Vertrauen von Kooperativen und Campesinos wieder zu gewinnen, muß der Staat jetzt, vor der Aussaat, das Risiko der Wechselkurs- und Zinsschwankungen wieder zum Teil übernehmen. Neue Subventionen also, nachdem die alten gerade vor einem Jahr abgeschafft wurden. Solange solche „Anreize“ für die Produktion mit Hilfe der Geldpresse finanziert werden, bekommt die Inflation wieder Auftrieb. Und so zögerte die Regierung lange, ehe sie - am Tag vor Daniel Ortegas Abreise nach Europa - die Zügel ihrer Sparpolitik etwas lockerte: Den Landwirten wurde der größte Teil der Schulden aus dem letzten Jahr erlassen, und wenn sie künftig Aussaat und Dünger mit Krediten finanzieren, dann liegt der monatliche Zinssatz bei 13 Prozent - erheblich unter der derzeitigen Inflationsrate.

40 Millionen Dollar kostet dieses Paket, das die Landwirtschaft wieder ankurbeln soll. 40 Millionen, die Nicaragua nicht hat (vor kurzem hat die schwedische Regierung gerade noch mit drei Millionen in bar ausgeholfen, damit überhaupt wieder Geld in der Zentralbank war). 40 Millionen, die Daniel Ortega aus Europa mitbringen muß.

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