piwik no script img

New York ist wie Gröpelingen

■ Gröpelinger Bürger diskutierten über die Anschläge in den USA, die Weltreligion Islam und das interkulturelle Zusammenleben im Stadtteil / Großes Interesse am „Tag der offenen Moschee“

Bewegt ging es zu am Dienstag in der Stadtteilbibliothek West in Gröpelingen. Zwischen Kinderbüchern und Hollywood-Videos hatten sich rund drei Dutzend BürgerInnen des Bremer Westens versammelt und diskutierten – locker und fröhlich, ruhig und vernünftig aber auch emotional und erhitzt – über das, was die Welt und Gröpelingen im Besonderen zur Zeit am meisten bewegt: Die Terroranschläge in den USA und die Konsequenzen für den multikulturellen Stadtteil im Bremer Westen.

„Was sollen wir jetzt machen?“ hatte sich Edhem Dirlik, Sprecher von Vatan Spor, seit dem 11. September gefragt. Seine Tochter Vecihe Dirlik, Schülerin am Schulzentrum Pestalozzistraße, findet es am wichtigsten, „dass man über alles reden kann, seine Meinung sagen kann, ohne Angst zu haben“. Nicht nur im Unterricht, wo die Lehrer gut auf das Thema eingegangen seien, sondern auch auf solch bunt gemischten Diskussionsveranstaltungen.

Das Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber der großen Weltpolitik, deren Auswirkungen jeden Einzelnen betreffen, zog sich durch die gesamte Diskussion, aber auch die Hoffnung, vielleicht doch etwas ändern zu können – nicht im Großen, aber vielleicht im Kleinen, im Stadtteil.

Ob die Taten nun aus religiösem Eifer, aus machtpolitischen Gründen oder einfach aus Wahnsinn begangen worden seien, die Gröpelinger waren sich einig, dass „das, was passiert ist, nicht richtig ist“. Kontrovers wurde hingegen darüber diskutiert, was in der Weltpolitik verändert werden müsste, ob die Attacken eine Folge des Nord-Süd-Gefälles oder der von den USA unterstützten Macht der Taliban und anderer Extremisten im Nahen Osten seien, ob man die Schuldigen verfolgen oder die Ungleichheit beseitigen müsse.

Die Welt einfach in Gut und Böse, zivilisiert und unzivilisiert aufzuteilen, wie die Politiker das versuchten, das wollten die Gröpelinger nicht gelten lassen: „Auch ein Indio ist genauso zivilisiert wie wir“, sagte jemand. Und genauso betroffen von den Anschlägen – Abdulkerim Sari, Sprecher der Fatih-Moschee, empörte sich noch einmal über Unterstellung der Welt am Sonntag, die die Betroffenheit der muslimischen Gemeinde als Heuchelei bezeichnete und den Gemeindemitgliedern geheime Freude über die Anschläge in den USA vorwarf. Er habe sich in den letzten Wochen „sehr aufgeopfert“, sei von einer Veranstaltung zur nächsten gehetzt, „und dann kam dieser Artikel, der das alles in Frage stellte“.

Weitgehend einig waren sich die Anwesenden bei der Frage, was jeder für sich im Kleinen ändern könne, wie die Menschen im Stadtteil mit der Situation umgehen sollten: Aufeinander zugehen, miteinander reden, versuchen, den anderen zu verstehen. Diese Forderungen wurden immer wieder gestellt.

Leider sei „die Mehrheit der Bevölkerung schlecht und einseitig informiert“, sagte Ulrike Joest, Lehrerin am SZ Pestalozzistraße. Statt nur durch Medien sollten die Menschen sich lieber vor Ort informieren, um Vorurteilen besser begegnen zu können. Auch ihr sei nach den Ereignissen in den USA bewusst geworden, „wie wenig ich eigentlich darüber weiß, was im Islam gelehrt, gefühlt und gedacht wird“. Abdulkerim Sari beantwortete Fragen zum Islam und beteuerte seinen Abscheu gegenüber religiösen Fanatikern: „Das sind nicht meine Glaubensbrüder. Wenn Menschen anderen ihre Überzeugungen aufzwingen, ist das für mich keine Religion mehr.“

Einigkeit herrschte auch über die Auffassung, dass Gröpelingen der Beweis dafür sei, dass das Zusammenleben von Menschen verschiedener Kulturen funktionieren könne. Bei seinen vielen Reisen in die Metropole habe er festgestellt, dass „New York vergleichbar ist mit Gröpelingen“, meinte ein Zuschauer – zumindest in Bezug auf das interkulturelle Miteinander.

Reges Interesse am Dialog zeigte sich auch gestern beim „Tag der offenen Moschee“, an dem sich in diesem Jahr allein in Bremen sieben Moscheen beteiligten. Unmengen von Schuhen standen in der Fatih-Moschee, mindestens 600 Menschen hatten sich das Bethaus bis zum Nachmittag angesehen. Ursprünglich wollten die Organisatoren wegen der Terroranschläge absagen, doch jetzt zeige sich, wie wichtig und notwendiger denn je interkulturelle Verständigung sei, erklärte Sari. Vivian Mast

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen