Neuseeland nach dem rechten Terror: Sie stehen zusammen
Christchurch gedenkt der Opfer des Terroranschlags. Doch über allem schwebt die Frage: Wie tolerant ist Neuseeland wirklich?
Mit zwei Schweigeminuten wurde im Park und im gesamten Land um 13.32 Uhr der Opfer des Anschlags gedacht. Auch der Gebetsaufruf davor wurde live auf allen Sendern übertragen. „Islamophobie ist echt. Islamophobie tötet“, sagte der Imam danach in seiner Ansprache und dankte den Neuseeländern – „für eure Trauer, euren Haka, eure Blumen, eure Liebe“. Er wandte sich an die anwesende Premierministerin Jacinda Ardern: „Danke, dass Sie uns mit einem simplen Tuch geehrt haben.“
Am Tag nach dem Anschlag hatte Ardern einen schwarzen Hidschab angelegt, um die Angehörigen der Opfer zu besuchen. In einem der säkularsten Länder der Welt, das sich bisher nicht mit Burkaverbot und Kopftuchdebatten befasst hat, setzte ihr von einem Tuch umrahmtes, von Schock und Trauer gezeichnetes Gesicht ein starkes Zeichen der Solidarität. Die Geste berührte, das Bild ging um die Welt, und in die Trauer des 4-Millionen-Einwohner-Staates mischte sich eine in diesem Moment beruhigende Gewissheit, vielleicht auch Stolz: So sind wir.
Am schwärzesten Tag ihrer anderthalbjährigen Amtszeit schien die 38-jährige Premierministerin alles richtig zu machen: Sie nannte den Anschlag des Einzeltäters einen terroristischen Akt und hatte die passende Antwort parat, als US-Präsident Donald Trump sie anrief und fragte, womit er helfen könne: „Mit Mitgefühl und Liebe für alle muslimischen Gemeinschaften.“ So simpel, so stark.
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Sie fand ebenso deutliche Worte für den australischen Senator Fraser Anning, der die angeblich zu laxe Einwanderungspolitik für den Mord an 50 Muslimen verantwortlich gemacht hatte. „Eine Schande“ nannte Ardern das – und schwor, niemals mehr den Namen des Attentäters in den Mund zu nehmen, um ihm nicht weiter die von ihm erhoffte Aufmerksamkeit zu geben.
Als die Labour-Chefin nur sechs Tage später das Waffengesetz in Neuseeland verschärfte, hatte sie die Unterstützung nicht nur der Opposition, sondern auch international, zum Beispiel von US-Senator Bernie Sanders: „So sieht die richtige Aktion gegen Waffengewalt aus. Wir müssen Neuseelands Beispiel folgen“, tweetete der Politiker.
Eine „wunderbare Geste“
Neuseelands Frauen folgten dagegen optisch dem Beispiel von „Jacinda“, wie sie von allen schlicht genannt wird, und riefen zum „Kopftuch-Freitag“ auf. Die Aktion „Scarves in Solidarity“ war von einer nichtmuslimischen Mitarbeiterin der Massey-Universität ausgegangen, die sie so erklärte: „Wenn wir am Freitag Kopftuch tragen, nur eine Woche nach der Tragödie, zeigen wir, dass Rassismus und Fanatismus hier nicht toleriert werden. Wir sind eins mit unseren muslimischen Schwestern.“
Sie bekam prompt Unterstützung vom Islamischen Frauenrat in Neuseeland und anderen muslimischen Gruppierungen in dem Land: Dies sei eine „wunderbare Geste“ nicht nur der Anteilnahme, sondern auch des Schutzes.
Die Ärztin Thaya Ashman aus Auckland, die den Hashtag #headscarfforharmony – in etwa „Kopftuch für Eintracht“ – in den sozialen Medien initiierte, berichtete von verschleierten Frauen, die seit dem Anschlag Angst hätten, das Haus zu verlassen, weil sie zur Zielscheibe von Terroristen werden könnten. „Wir wollen damit sagen: ‚Wir sind bei euch, wir wollen, dass ihr euch auf unseren Straßen daheim fühlt, dass wir euch unterstützen und respektieren‘.“
Selbst Neuseelands feministische Zeitschrift Broadsheet, die sich sonst eher schwertut mit Frauen, die Kopftuch tragen, äußerte sich positiv auf Facebook: „Wir glauben, dass die Premierministerin das Richtige macht.“ Nicht einmal fiel das Wort „Frauenunterdrückung“.
Beifall und Ablehnung
Eine muslimische Ärztin aus Auckland, Mariam Parwaiz, schrieb jedoch auf Twitter, sie sei „kein Fan dieser Idee“ – obwohl sie von Ardern begeistert war, als die damals Hochschwangere beim Antrittsbesuch bei der Queen vor einem Jahr einen Maori-Umhang aus Federn trug. Damit wollte sie auch die Urbevölkerung ihres bikulturellen Landes repräsentieren. „Einmalig ein Kopftuch zu tragen und dann wieder zur normalen Kleidung zu wechseln zeugt nur vom eigenen Privileg“, schrieb Parwaiz. „Die meisten Frauen, die ein Tuch tragen, tragen es jeden Tag. Um zu verstehen, wie das Leben der muslimischen Frauen in Neuseeland ist, muss man mehr tun, als sich einen Tag lang zu verkleiden.“
Gamal Fouda, Imam
Sie bekam Beifall von der jungen Ägypterin Sabrina Abdelaal Selim aus Christchurch, die dort mit vier Jahren einwanderte und die Kopftuchbewegung als kulturelle Aneignung und Effekthascherei bezeichnete. „Malen wir uns alle ein Maori-Tattoo ins Gesicht, wenn der Anschlag auf einem Marae passiert wäre?“, also der traditionellen Versammlungsstätte der Maori.
Während Videos und Tipps zum korrekten Anlegen eines Hidschabs gepostet wurden und Fernsehmoderatorin Samantha Hayes trendgerecht ein Glamourbild von sich mit schwarzem Hidschab auf Instagram stellte, begann eine Woche nach dem Anschlag die Kopftuchdebatte. Empörung löste es aus, dass eine christliche Mädchenschule in Auckland keine Kopftücher zulassen wollte, weil die Kleiderordnung diese seit je verbiete.
Der türkische Nachrichtenkanal TRT World hatte berichtet, dass eine Schülerin der vornehmen Privatschule Diocesan School for Girls am Mittwoch ein selbst geschriebenes Gedicht mit dem Titel „Leben unter dem Schleier“ in der Schulversammlung vortrug, das aber später mitsamt der Facebook-Seite der Schule aus dem Netz genommen wurde.
Symbol der Unterdrückung?
Christchurchs Tageszeitung The Press, die am Freitag nach dem Anschlag mit einer weißen Titelseite mit Trauerrand aufmachte, auf der lediglich der arabische Schriftzug „Salam“ – Frieden – stand, ließ die Ägypterin Abdelaal Selim auf einer ganzen Seite zu Wort kommen. Sie prangerte die Kopftuchaktion als Ausdruck der „weißen Rettermentalität“ an, die wiederum ins Denkschema der White Supremacists passe. „Einige Muslime leben hier länger als viele Neuseeländer aus Europa, aber sind trotzdem nicht genug ‚Kiwi‘ “, schrieb sie. „Hört lieber die Stimmen der jungen Muslime, der feministischen Muslime, der Regenbogenmuslime, der behinderten Muslime.“
Auf der Wiese des Hagley Parks saßen am Freitag auch drei Hebammenschülerinnen mit gemusterten Tüchern, keine von ihnen Muslima, aber alle bewegt vom Freitagsgebet, das über Lautsprecher im Park übertragen wurde. Die Freundinnen waren sich am Morgen noch nicht ganz sicher, ob sie freiwillig etwas anlegen sollten, was in westlichen Ländern oft als Symbol der Unterdrückung angesehen wird. „Es kommt auf den Kontext an“, sagte eine der drei. „Wir sind das erste Land der Welt, das Frauen das Wahlrecht gegeben hat, und wir haben eine unverheiratete fortschrittliche Premierministerin mit Baby. Damit ist doch klar, warum wir und sie das tragen, oder?“
26 Tote – auch ein Dreijähriger – wurden nach dem offiziellen Freitagsgebet in Christchurch beigesetzt. Bewacht wurde der Friedhof von schwer bewaffneten Polizisten. Darunter eine junge Beamtin mit Sturmgewehr, die die Stimmung des Inselstaates verkörperte: An der kugelsicheren Weste trug sie eine Rose, um ihren Kopf hatte sie ein schwarzes Tuch gelegt.
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