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Neulich bei Karstadt

Nein, schön war es nicht neulich bei Karstadt, kurz nach halb acht. Kleinkinder plärrten, gestreßte Büromenschen schaufelten hastig WeinKäseGrissini in den Wagen, allgegenwärtige SeniorInnen rammten ihre handlichen Einkaufsbüggel Wartenden in die Achillessehne. Und über allem dräute der bevorstehende Ladenschluß. Um acht Uhr schon alle Schotten dicht! Wie gemein! Wo es doch in Amerika, o dear!, diese phantastischen Supermärkte gibt, die nie, niemals zumachen.

Doch in der preußischen Provinz ist immer noch am wichtigsten, daß irgendwann die Scherengitter runtergehen. Keine Spur von Lebensart. Was hat der Urlaub in Italien, Frankreich, Spanien genützt? Entspannte Flanierkultur haben wir dabei jedenfalls nicht gelernt. Statt dessen überall Unzufriedenheit. Die Gewerkschaften zetern, daß die längeren Schließzeiten zurückgenommen gehören, weil sie dem Handel eh keinen Mehrumsatz, den VerkäuferInnen aber mehr Streß brächten. Der Einzelhandelsverband gibt zwar zu, daß die Umsätze mäßig seien, beharrt aber trotzig auf dem Erreichten. Und die Händler selbst? Viele haben längst zurückgefunden zu den alten Schließzeiten, oder sie haben sich ihr eigenes System zurechtgestrickt: an zwei Tagen länger geöffnet, dafür morgens später auf.

Die werte Kundschaft jedoch teilt sich in zwei große Haufen – wie eh und je. Die einen kümmern sich nicht groß um all das Schwadronieren, kaufen dann ein, wenn sie grad mal frei und Lust drauf haben. Die anderen meckern wie gehabt über „Provinz“ und „Bürokratenseelen“. Zufrieden werden die nicht eher sein, bis auch der letzte Strumpfladen around the clock geöffnet hat.

Dabei könnte sich das Problem der ach so kurzen Konsumzeit ganz anders lösen lassen: Wenn erst einmal jedeR über mindestens ein geklontes Double verfügt, braucht es auch keine längeren Ladenöffnungszeiten mehr. EineR arbeitet, eineR kauft ein – und am nächsten Tag wird getauscht, von wegen der Gerechtigkeit. Gudrun Giese

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