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Neulich ... im Imbiß

■ Die im Imbiß sieht man nicht oder Warum will Dunkelmännern eigentlich niemand zuhören?/Geschichten vom Hörensehen, die sechste

NEULICH...

... im Imbiß

Die im Imbiß sieht man nicht oder Warum will Dunkelmännern eigentlich niemand zuhören? / Geschichten vom Hörensehen, die sechste

Im Imbiß sollst du nicht verweilen. Das sagt schon der Name. Im Biß begriffen, bist du im Geiste schon wieder draußen. Was gibt's auch zu sehen: elend nackte Würstchen, denen du Schlafröcke wünschen möchtest, finstere Frikadellen, verfrorene Gurken, mayonnaisische Kartoffeln; und der Imbißverkäufer im adrett-sein-möchtenden Polo-Hemd schwitzt mitfühlend mit der Hühnerstaffel im Rücken, die dreht sich und dreht sich und dreht sich und dreht sich und manch halbes Hähnchen macht Zisch.

Kuckst du wirklich einmal genauer, kommst du an den Ecken des Lebens und seinen Eckenstehern nicht vorbei: etwa an Männern mit dunkelbraunen Hosen und dunkellila Sackos. In Ecken fällt so einer nicht weiter auf. Da ist es auch egal, was für Haare so einer hat, ob er eine Brille trägt, ob er ein Köfferchen dabei hat, wo eventuell Brisk oder billige Luxusseifen darauf warten, an überfüllte Drogisten gebracht zu werden.

Was macht so einer? Er will sich vielleicht einmal unterhalten, bloß so, ohne irgendetwas anzupreisen. Dazu braucht er jemanden, der zuhören muß, weil er nicht wegkann. Zum Beispiel einen Imbißverkäufer. Der Imbißverkäufer hat aber auch Kunden, neulich mich. Und wenn er deren Frühlingsrolle soweit betreut hat, daß ihr in der Mikrowelle langsam heiß wird, muß er zuhören.

Sofort tritt der Dunkelbraun-Dunkellilane aus dem Schatten der Ecke und sagt: „Der alte hat 170 000 gekostet! “ Der Imbißbrater nickt abweisend, immerhin scheint er zu wissen, worum es sich handelt. Der aus der Ecke tritt mutig noch einen Schritt vor und sagt: „Der neue kostet 180 000!!“ Aber jetzt stößt er beim Imbißverkäufer auf eine Wand des Nichtreagierens. Das macht drei Schritte zurück.

Ich bin irritiert: Vorher müssen sie doch miteinander gesprochen haben?! Mitwissenwollen ergreift von mir Besitz: Was hat alt 170 000 gekostet, und warum und nach welcher Zeitspanne kostet es jetzt 180 000? Ich würde dem Dunkelbraun-Dunkellilanen gerne bestätigen, wie interessant ich diese Entwicklung finde. Die Verschwiegenheit des Frühlingsrollenwenders ist wirklich ärgerlich: Einmal, weil er Mitwissenkönnen verhindert, und dann, weil er, kalt wie Cola, Dunkelbraun-Dunkellilane am langen Arm so verhungern lassen kann in seinem Imbiß. „Wenn man bedenkt“, sagt dieser noch ein letztes Mal zum Rücken des Imbissers. Wenigstens ich bedenke, ob ich ihn fragen soll wegen der 170 000 bzw. 180 000. Aber da ist meine Frühlingsrolle fertig. Merkwürdig, das dauert doch sonst länger!?

Jetzt, da ich die Frühlingsrolle gegessen habe und mir nicht mehr schlecht ist, wird mir klar, daß angebissene Geschichten dem Imbiß angemessener sind als aufgegessene. Und daß Pointen am Schluß von Imbißgeschichten wie Ketchup sind: Im Preis nicht inbegriffen. Claudia Kohlhas

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