Neukölln-Untersuchungsausschuss: Neonazis plastisch beschrieben
Obwohl gegen ihn ein Ermittlungsverfahren läuft, stellt sich ein Polizist im Neukölln-Untersuchungsausschuss den Fragen. Und überrascht mit manchen Antworten.
Berlin taz | Die Vernehmung des Polizisten Norbert M. am Freitag im Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses zum Neukölln-Komplex war mit großer Spannung erwartet worden. Wie oft wird sich der Zeuge auf ein Aussageverweigerungsrecht berufen?
Tags zuvor war bekannt geworden, dass gegen M. ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden ist. Er steht im Verdacht, Dienstgeheimnisse, die die Ermittlungen im rechten Neuköllner Milieu betreffen, weitergegeben zu haben. Die Informationen seien möglicherweise auch an die rechtsextreme Szene gelangt, meint die Generalstaatsanwaltschaft. Sieben Orte waren am Mittwoch durchsucht worden, darunter auch M.s Wohnung.
Mehr als vier Stunden dauerte die Befragung des 56-jährigen Beamten M. im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. M. machte dabei nicht den Eindruck, ein Sympathisant von Rechtsextremisten zu sein. Im Gegenteil. Seit 1983 bei der Schutzpolizei, gehörte M. seit 2007 zu einer kleinen Dienstgruppe, die der rechten Szene in Neukölln das Leben schwer machen sollte. „Aus Überzeugung“ habe er sich in dieser Sache engagiert, so M. am Freitag.
M. beantwortete nahezu alle Fragen, auch solche, die das gegen ihn anhängige Ermittlungsverfahren berühren könnten. Ob er ausschließen könne, dass Daten an dritte Personen weitergegeben worden seien, wurde er gefragt. „Ich habe es nicht gemacht und das auch nicht festgestellt“, war die Antwort.
Von 2007 bis 2016 gehörte M. der Ermittlungsgruppe Rechtsextremismus (EG Rex) an, von 2017 bis 2021 deren Nachfolgeorganisation, der Operativen Gruppe Rechtsextremismus (OG Rex).
Angehörige der Szene identifizieren
Aufgabe der EG Rex sei es gewesen, die Neuköllner rechtsextreme Szene aus der Anonymität zu holen, zu identifizieren, Polizeipräsenz an deren Treffpunkten zu zeigen sowie Ansprechpartner für die von der Anschlagsserie Betroffenen zu sein, sagte M. Weil die Fallzahlen zunächst zurückgingen, sei die EG Rex 2016 aufgelöst worden. Auf Drängen der Betroffenen sei ein Jahr später die OG Rex gegründet worden.
Die Aufgabe der OG Rex habe sich darauf beschränkt, mit den Opfern rechter Gewalt Kontakt zu halten. Der Staatsschutz sei der Auffassung gewesen, so M., „dass wir bei den Observationen eher stören“. Die Neukölln-Ermittlungen wurden zu diesem Zeitpunkt von der beim Staatsschutz angesiedelten EG Resin geführt.
Ab 2015 hatte M. bei der EG Rex eine Führungsposition. Nur drei Beamte waren dort zu dieser Zeit noch tätig. Einer davon war der Beamte Stefan K. Jener K., der im April 2017 außerhalb des Dienstes zusammen mit rechten Fans des 1. FC Union schwer betrunken einen afghanischen Asylbewerber krankenhausreif prügelte und dafür im März 2023 rechtskräftig verurteilt worden ist.
Krankschreibung geschickt
Eigentlich sollte auch Stefan K. am Freitag im Untersuchungsausschuss gehört werden. Der Polizist hatte aber im Vorfeld der Sitzung eine Krankschreibung geschickt. Zum Zeitpunkt des Vorfalls gab es die EG Rex nicht mehr, in die OG Rex habe K. aus privaten Gründen nicht mehr gewollt, sagte M. Der Vorfall habe ihn „überrascht und schockiert“, so M. Dass „so etwas in ihm schlummert“, habe er bei der Zusammenarbeit mit K. nicht gemerkt.
Für den Ruf der OG Rex sei der Vorfall ein schwerer Rückschlag gewesen, so M. „Ihr habt einen rechten Schläger bei euch“: So habe der Vorwurf der Betroffenen gelautet. Es sei schwer gewesen, bei den Leuten wieder Vertrauen zu gewinnen. Dem Landeskriminalamt hätten die Betroffenen aber noch weniger vertraut.
Über viele Jahre sei gegen zwei, drei Tatverdächtige der rechten Szene ermittelt worden, viele Anschläge habe es in dieser Zeit gegeben. Warum es keine Ermittlungserfolge gab? „Ich weiß es nicht, ich hätte mir das auch gewünscht“, versicherte M.
Als er angefangen habe, 2007 in Rudow bei der EG Rex, habe die dortige Rechtsextremisten-Szene noch 120 Personen gezählt. 15-, 16-Jährige seien das gewesen, die sich aus Kita, Schule und dem Fußballclub gekannt hätten. Die Szene habe sich dann immer mehr reduziert, sagte M. Mit Beginn der Brandanschläge sei es keine offene Szene mehr gewesen. „Ein kleiner Kreis hat weitergemacht“.
Der linken Szene bescheinigte M. „eine hervorragende Aufklärungsarbeit“ über die rechtsextreme Szene zu machen, auch er habe davon für die Polizeiarbeit profitiert.
Im Innendienst tätig
Vom Vertreter der Linkspartei, Niklas Schrader, im Ausschuss nach rechten Szeneangehörigen gefragt, wartete M. unter Nennung von Vornamen und Abkürzung der Nachnamen mit plastischen Beschreibungen auf. „Reizbar und unterbenebelt, eine gefährliche Konstruktion“ sagte er über einen. Über einen anderen: „Der ist nicht nur ein Abrisskalender.“ Oder: „Fällt optisch nicht auf, im Hintergrund aber immer dabei.“ Oder: „Nazi, Frauenschläger, sehr gefährlich, fast immer voll.“
M. verrichtet seit geraumer Zeit auf einem Polizeiabschnitt in Neukölln Innendienst.
Die Welt hatte unter Bezugnahme auf das Ermittlungsverfahren gegen M. berichtet, der Beamte soll die Ermittlungen gegen die rechte Szene auf eigene Faust voranzubringen versucht haben. In der Form, dass M. selbst versucht haben soll, einen Informanten anzuwerben. Die Person, die er mit Dienstinterna bestückt haben soll, soll aber nur vorgetäuscht haben, ein Neonazi zu sein. Tatsächlich habe es sich um einen Szeneangehörigen der Linken gehandelt, der das gegnerische Spektrum habe unterwandern wollen.
Bei der Pressekonferenz im Anschluss an den Ausschuss konstatierte der Sprecher der CDU-Fraktion, Stephan Standfuß, M. habe die Fragen zu 99 Prozent beantwortet und sehr glaubwürdig gewirkt. Sein Eindruck sei, dass M. ein engagierter Beamter gegen Rechtsextremismus sei.
Die Vermutung habe sich bestätigt, dass es ein Fehler gewesen, die EG Rex aufzulösen, sagte Niklas Schrader. Der Vertreter der Grünen, André Schulze, sprach von einer „gelungenen, ergiebigen Befragung“ des Zeugen M. Von der Presse nach einer Einschätzung zur Stichhaltigkeit des Vorwurfs des Geheimnisverrats gefragt, hieß es einvernehmlich: Das könne der Ausschuss nicht beurteilen.
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