Neues von der NSA: Wikileaks hat Humor
Die Enthüllungsplattform meldet sich zurück. Mit im Angebot: Merkel-Tapes und Griechenland-Mitschnitte. Kurz vor Pofallas Auftritt im Bundestag.
Eine gute Pointe kommt ja gemeinhin von hinten. Sie ist nicht zu aufdringlich und lädt zum Grübeln ein. Mit seinen neuesten Veröffentlichungen ist der Enthüllungsplattform Wikileaks eine solche Pointe geglückt.
Am Mittwochabend veröffentlichte das Portal neue Details über die Spähpraktiken des US-Geheimdienstes NSA sowie des britischen Geheimdienstes GCHQ, der als aggressivster Schnüffeldienst Europas gilt. Die Veröffentlichungen haben es durchaus in sich: Erstmals ist damit nicht nur klar, dass Angela Merkel selbst unter Überwachung stand. Nun kann auch jeder mitlesen, worum es laut Wikileaks bei ihren Telefonaten ging. Die Plattform hat Geheimdienstberichte veröffentlicht, die inhaltlich wiedergeben sollen, worüber Merkel mit engsten Mitarbeitern am Telefon sprach. Zum Beispiel um: „another haircut“.
Gemeint ist nicht die viel zu oft diskutierte Frisur der Kanzlerin, sondern die Frage, wie die Eurozone mit Griechenland umgehen soll – und was den Griechen abgetrotzt werden kann. Die Veröffentlichung ist deshalb interessant, weil sie im Detail aufzeigt, dass die USA sehr intensiv um Erkenntnisse bemüht waren, die Aufschluss über die Wirtschafts-, Handels- und Geldpolitik Deutschlands und Europas geben.
Über die Entwicklungen innerhalb der Eurozone war die US-Spitze stets aus erster Hand informiert. Auch über die Konflikte zwischen den europäischen Staats- und Regierungschefs und denen innerhalb der deutschen Bundesregierung. Der Geheimdienstbericht belegt etwa, dass Merkel und Schäuble schon vor Jahren uneins in ihrer Haltung zu Sparauflagen für Griechenland waren. Der Bericht stammt vom 11. Oktober 2011. Angela Merkel war damals auf Visite in Vietnam – und in Deutschland wurde wild über Rettungspakete für Banken und eine drohende Griechenlandpleite diskutiert.
Der US-Botschafter in Deutschland, John B. Emerson, ist nach den neuen Enthüllungen über NSA-Spähaktionen zu einem Gespräch ins Kanzleramt „eingeladen“ worden. Entsprechende Berichte wurden am Donnerstag in Regierungskreisen in Berlin bestätigt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte zuvor berichtet, Emerson sei von Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) zu einem „umgehenden Gespräch“ gebeten worden. Dem FAZ-Bericht zufolge wollte Altmaier von Emerson Aufklärung über die abgehörten Gespräche von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Mitarbeitern des Kanzleramts erhalten. (afp)
Neben den inhaltlichen Berichten veröffentlichte Wikileaks auch eine Liste von Telefonnummern, die unter Überwachung gestanden haben sollen. Dabei handelt es sich nicht um Handynummern, sondern um eine Reihe von Telefonanschlüssen direkt in deutschen Ministerien. Betroffen davon sollen neben dem früheren Finanzminister Oskar Lafontaine, dem früheren Wirtschaftsminister Werner Müller und zahlreichen weiteren hochrangigen Politikern und Beamten. Auch die heutige Bundesumweltministerin Barbara Hendricks soll darunter gewesen sein – damals in ihrer Funktion als Staatssekretärin im Finanzministerium.
Die Details der Wikileaks-Veröffentlichung bergen daher durchaus Sprengkraft. Sie offenbaren nicht nur das Problem, vor dem die deutsche Bundesregierung im Hinblick auf ihre eigene Regierungskommunikation steht. Diese ist derzeit, etwa im Hinblick auf die umstrittene Selektorenliste, intensiv darum bemüht, etwa im NSA-Untersuchungsausschuss, die NSA-Affäre herunterzudimmen.
Die Veröffentlichungen zeigen auch den eigentümlichen Humor, mit dem Wikileaks aus der Rückenlage Politik macht: Bereits vor einigen Tagen hatte die Organisation rund um den umstrittenen Julian Assange und dessen Vertraute Sarah Harrison einen ähnlichen Coup gelandet. Ihre Veröffentlichung zur Überwachung der französischen Staatsspitze durch die NSA hatte Wikileaks just am Vorabend einer Gesetzesabstimmung in Frankreich platziert.
Kein Zufall
Die Folge war amüsant: Zwar erregten sich führende französische Politiker in beeindruckender Weise über die Spähangriffe. Noch am gleichen Tag stimmten sie allerdings neuen Sicherheitsgesetzen zu, die den eigenen Geheimdiensten eine Massenüberwachung auch der eigenen Bevölkerung erlauben. Mit der gewieften Platzierung gelang es Wikileaks somit, die paradoxe – nein besser: verlogene – Haltung der politischen Spitze vorzuführen.
Dass die neuen Details zur Überwachung in Deutschland just am Mittwochabend veröffentlicht wurden, ist ebenfalls kein Zufall. Am heutigen Donnerstag wird der frühere Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) vor dem NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag erwartet. Er hatte, das ist soweit ein Kalauer, seinerzeit die NSA-Affäre für beendet erklärt. Dass er heute vor dem Bundestag die Gelegenheit hat, dies noch einmal auf Basis detaillierter Kenntnisse vor der Öffentlichkeit zu erörtern, ist kein grober Witz – sondern eine sehr feine Pointe. Wikileaks hat Humor.
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