■ Stadtmitte: Neues von der Irrenoffensive
Als vor anderthalb Jahren im Berlin-Special von Merian gefordert wurde, das Berliner Stadtschloß wieder aufzubauen, „um die Stadt als Stadt zu retten“, rätselten viele LeserInnen, ob es sich nun um einen gelungenen Fake oder um das Produkt eines durchgedrehten Spinners handelte, den ein angetrunkener Merian-Mitarbeiter irgendwie ins Heft geschmuggelt hatte.
Der beigelegte Schloß-Bastelbogen, den man sonst eher in einer Kelloggs-Cornflakes-Packung erwartet hätte, schien einen zu bestätigen. Das Pappschloß wirkte wie das nachsichtige Augenzwinkern eines subversiven Schlußredakteurs, der sich diebisch darüber freute, dem Hochglanzprodukt ein kleines Bömbchen mitgegeben zu haben.
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Ernst nahm man die Schloßaufbaupläne zumindest nicht, und auch die Nachrichten, die hernach vorbeikamen, wurden als eher mittelmäßiger Irrsinn vage interessiert beiseite gelegt, wie etwa die Flugblätter seltsamer Sekten oder die Schriften von Paranoiden, die davon phantasieren, daß sich in ihren Zahnkronen geheime Überwachungssender von KGB, CIA, MfS oder BND befinden würden. Irgendwann später würde man sich darum kümmern. Nicht jetzt, und das ging so vorbei im Lärm der Häuser, die hier, am Rand der sogenannten Mitte, allwöchentlich abgerissen werden.
Unversehens jedoch wechseln wie im Rausch die Kriterien dessen, was als Traum, Phantasie oder Irrsinn gilt und deshalb gut beschützt im Kopf verschlossen ist, mit dem, was als Stadtwirklichkeit draußen polternd, vom Haupstadtjugendsender „Fritz!“ umschmeichelt, daherkommt.
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Zunächst war's der Kanzler, der feist-tumb die Kaiserdom-Einweihung besuchte, anstatt zur Beerdigung der ermordeten Solinger Türken zu gehen. Ein Zeichen, daß gerade mit seiner kindlichen Entschuldigung – man hätte ihn dort ausgepfiffen – durchaus verstanden wurde. Denn der Weg nach vorn geht zurück und überspringt so souverän die eine oder andere hindernde Vergangenheit (sonst wird man schmählich ausgepfiffen).
Das Preußentum in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf. Um den Weg heim ins Preußentum zu betonen (oder zumindest zu proben), steht inzwischen nun auch zumindest in Teilen die „sonnenbeschienene“ Leinwandfassade des Stadtschlosses. Wir bauen einen Erlebnis- und Ereignispark, „wir tun unser Bestes, damit unsere Kinder auf uns stolz sein können“, hatte der Hamburger Initiator Wilhelm von Boddien, Vorsitzender des Fördervereins Berliner Stadtschloß, wirklichkeitsverdrossen neben seiner Märklineisenbahn gemeint.
Wer nun allerdings schon grimmig die Hacken zusammenknallen möchte, sollte sich doch noch einmal die trotzig infantile, fast rührend irrsinnige Form neuer Identitätssucht anschauen. Die Gewaltarchitektur des Doms kapituliert zur Zeit noch vor dem permanenten IKEA-Geruch im Innern, und die gemalte Fassade des Stadtschlosses, der Versuch, Identität ohne Erinnerung zu verordnen, wirkt so lächerlich wie etwa der Kölner Dom im Legoland.
Die Stadtschloßbefürworter erinnern an Pierre Brice, der am Ende seiner Karriere tatsächlich meinte, Winnetou zu sein.
Die Berlinbesucher fotografieren sich kopfschüttelnd vor dem durchgedrehten Dingsda, und die Berliner sind (im Gegensatz zu allen Fremden) eingeladen, frank und frei am 30. Juni die Eröffnungsgala zu besuchen. Wenn's hinter der Geschichtskitschfassade Freibier geben wird, werden sie sich freuen.
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All die jedoch, die tatsächlich meinen, preußische Geschichte ließe sich so einfach verordnen, sollten daran denken, daß sich auch im Schlechten manchmal Splitter des Guten verbergen. Die Stadtschloßgeneralprobe sieht jedenfalls dermaßen bescheuert aus, daß man hernach wohl Abstand nehmen wird von seiner steinernen Inszenierung. Detlef Kuhlbrodt
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