: Neues Röntgen mit Folie statt Film
■ Uniklinik Münster erprobt seit einem Jahr erfolgreich die digitale Radiographie / Verfahren ist noch zu teuer
Seit einem Jahr arbeitet die Röntgenabteilung der Uniklinik Münster mit einem neuen Röntgenverfahren, der digitalen Luminiszenz-Radiographie. Im Namen steckt auch schon das Wesentliche der neuen Technik. Das Röntgenbild der Zukunft kann digitalisiert und damit im Computer gespeichert werden.
Computer können bekanntlich nur mit Einsen und Nullen etwas anfangen, mit „Strom an“ oder „Strom aus“. Digitalisieren bedeutet, beispielsweise ein Bild so aufzudröseln, daß es mit Einsen und Nullen dargestellt werden kann: Bei „Strom an“ leuchtet es (Eins) und bei „Strom aus“ leuchtet es nicht (Null). Wenn es viele tausend kleine Punkte sind, die entweder leuchten oder nicht leuchten, entsteht ein Bild.
Die Bedeutung dieser Möglichkeit erläutert Werner Wiesmann, Oberarzt der Radiologischen Abteilung der Uniklinik Münster: „Wenn ein Patient neu in ein Krankenhaus kommt, möchten drei, vier oder fünf verschiedene Stellen zur gleichen Zeit das Röntgenbild sehen. Der Radiologe, der Chirurg, der Anästhesist und der Orthopäde, oder wer auch immer hinzugerufen wird. Das Problem dabei ist, daß wir nur ein Unikat, ein Einzelbild haben. Und wenn der Patient kommt, sind Videoaufnahmen häufig nicht verfügbar.“
Beim Röntgen werden elektromagnetische Strahlen quasi durch den Körper geschickt. Weil sie Weichteile besser durchdringen als Knochen, kommen sie in unterschiedlicher Stärke wieder heraus und treffen dann auf einen empfindlichen Film, der stark geschwärzt wird, wenn die Strahlen gut durchgekommen sind. Wenn nicht, wird der Film schwach oder gar nicht geschwärzt.
Das neue Verfahren, die digitale Radiographie, setzt genau am Ende dieses Vorgangs an: Statt des Films wird eine Leuchtstoffolie verwendet. Diese Folie wird dann von einem Laser abgetastet. Anschließend werden die Lichtsignale digitalisiert und zum Beispiel auf einer Diskette gespeichert. Die Folie wird anschließend mit hellem Licht neutralisiert und ist danach für weitere Aufnahmen wiederverwendbar. Die Vorteile dieser digitalen Radiographie liegen auf der Hand. Kommt der Patient ins Krankenhaus, legt der Chirurg eine Diskette ein, lädt das Bild auf den Bildschirm und läßt es ausdrucken. Ist der Patient von einem anderen Krankenhaus überwiesen worden, wird das mit einem Modem geregelt. Dabei erfolgt die Übertragung per Telefonnetz. Das Bild wird über den Postdraht verschickt und ist in drei bis vier Minuten da, wo operiert werden soll.
Der Radiologe kann sein Bild stundenlang betrachten, ohne daß der Orthopäde sauer wird. Denn er kann es seinerseits vom Zentralcomputer laden, ebenso wie der Anästhesist. Das Röntgenergebnis läßt sich auch auf dem Bildschirm nachbearbeiten, um schwer erkennbare Befunde graphisch zu verdeutlichen.
Außerdem sind mit dem digitalen Verfahren Fehlbelichtungen auch unter schwierigen Aufnahmebedingungen, wie auf der Intensivstation, so gut wie ausgeschlossen, im Gegensatz zum alten Verfahren. „Insbesondere bei Schwerverwundeten, bei denen alles blitzschnell gehen muß, werden so fehlbelichtete Aufnahmen vermieden. Das ist in Notfällen ganz wichtig“, verdeutlicht Wiesmann.
Und weiter: „Wir benutzen das Speicherfoliensystem auch auf der Kinder-Intensivstation. Da müssen die Kinder jeden Tag oder jeden zweiten Tag geröntgt werden. Weil es kaum noch Fehlbelichtungen gibt, bedeutet die digitale Radiographie hier sicher auch eine enorme Reduktion der Strahlenbelastung, denn Wiederholungsaufnahmen fallen fast vollständig weg.“
Der Nachteil der digitalen Radiographie ist kostenbedingt: 2,7 Millionen DM. Zwar lassen sich die Speicher in jedes herkömmliche Röntgengerät stecken und belichten, aber um die Ergebnisse in einen Computer zu spielen, benötigt die Radiographie teure Technik: das Auslesegerät, den Computer, einen Bildschirm, eine Entwicklungsmaschine und einen Laserbelichter, nicht zu verwechseln mit einem Laserdrucker.
Außerdem müssen noch eine ganze Reihe von Spezialproblemen gelöst werden, wie ein System zur Archivierung der Bilderflut und der enorme Bedarf an Speicherkapazität. Nach allen Regeln der Kunst verkleinert (komprimiert), benötigt ein digitalisiertes Röntgenbild immer noch zwei bis drei Megabyte Speicherplatz. Damit lassen sich zwischen sechs bis acht Disketten der Art füllen, die die meisten Leute in ihre PCs stecken. Folglich kommen als Datenträger nur optische Discs in Frage. Die riesigen Datenmengen spielen auch bei der Datenübertragung eine störende Rolle: Sie dauert einfach noch zu lange. Deshalb hofft Wiesmann auf die umstrittene ISDN-Breitbandverkabelung, mit der man dann „im Sekundenbereich liegen“ könne.
Bis jetzt ist es jedenfalls noch so: „Eine Krankenschwester, die eine Mappe mit Röntgenbildern trägt, hat eine größere Datentransportleitung als das leistungsfähigste Netz.“
Ralf Schaepe
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