Neues Bauprojekt: Weichen stellen am Gleisdreieck
Am U-Bahnhof Gleisdreieck soll ein neues Quartier entstehen. Bei einer Veranstaltung wird vorgeschlagen, die Zentral- und Landesbibliothek dort anzusiedeln.
Die Gleise fressen sich in die Stadt hinein, verzweigen sich, führen wieder zusammen. Über eine Breite von Hunderten Metern laufen die Schienenstränge für Güter- und Personenzüge nebeneinanderher, verschwinden an einzelnen Stellen in den Bahnhofsgebäuden aus Backstein. Ein monströser Verkehrsknotenpunkt, der Kreuzberg, Schöneberg und Tiergarten wie ein Graben voneinander trennt.
Die schwarz-weiße Luftaufnahme aus den 1920er Jahren hängt an diesem Freitagabend an einer Stellwand im Technikmuseum. Sie zeigt, wie die Gegend um das Gleisdreieck früher aussah. Heute ist der größte Teil des ehemaligen Bahngeländes zum Park geworden. Nicht überall: Unmittelbar am U-Bahnhof Gleisdreieck gibt es auf der Kreuzberger Seite noch ein brachliegendes Grundstück, das nun bebaut werden soll.
Dabei können Anwohner und Interessierte mitreden: Rund 40 Leute sind zur Dialogveranstaltung ins Technikmuseum gekommen, um sich über den Stand der Ideenfindung zu informieren – und eigene Vorschläge zu machen.
Die neuen Bauten werden das Gesicht des Gleisdreieckparks noch einmal verändern. Das Grundstück hat eine Grundfläche von 43.000 Quadratmetern. Drei- bis vierstöckige Gebäude könnten hier entstehen. Eine dichte Bebauung ist vorgesehen, auch über Hochhäuser wird diskutiert. „Die sollen aber eine Höhe von 60 bis 90 Metern nicht überschreiten, weil das sonst unwirtschaftlich wäre“, sagt Susanne Jahn von dem mit der Moderation betrauten Planungsbüro.
Die Geschichte als Verkehrsknotenpunkt prägt das Gelände nach wie vor. Am Gleisdreieck fahren die U1 und U2 quietschend über die Hochbahnen. Die ICEs rauschen in den Tunnel Richtung Hauptbahnhof. Für 2025 plant das Land am Gleisdreieck zudem einen neuen Bahnhof für die S21, die den Hauptbahnhof in Nord-Süd-Richtung besser anbinden soll. Diesen Charakter will man unterstreichen. Firmen, die mit Mobilität zu tun haben, könnten sich hier ansiedeln. Es wurde auch vorgeschlagen, die denkmalgeschützten Bahnanlagen zu inszenieren.
Das Treffen am Freitag ist die dritte – und damit bereits letzte öffentliche Dialogveranstaltung. „Es wurde gesagt, dass wir überall eine gemischte Nutzung wollen“, fasst Jahns Kollegin Gerlinde Mack die bisherigen Ergebnisse zusammen. Lebensmittel, Kioske, Galerien, Gastronomie, ein Skatermuseum – all das könnte am Gleisdreieck einen Platz haben. Auch Werkstätten für Künstler oder Handwerker sowie Clubs, die Lärm verursachen, könnten unterhalb der S-Bahn unterkommen.
Über die Frage, ob auch Wohnungen entstehen sollen, wurde laut Jahn viel diskutiert. Das ist aufgrund des Verkehrslärms nur an den den Gleisen abgewandten Seiten des Geländes möglich. Man habe sich darauf verständigt, dass es Wohnungen geben soll, berichtet Jahn. „Aber wo genau und wie viele, muss man schauen.“
Auf Unverständnis der Anwohner stößt am Freitag vor allem der bereits laufende Abriss der historischen Viadukte. „Es hätte sich doch angeboten, die zu restaurieren und zum Beispiel einen Biergarten dort unterzubringen“, kritisiert ein Mann. Einer der Eigentümer, Markus Vogel, entgegnet, die Bögen seien einsturzgefährdet gewesen. Mit Blick auf die Planungen der S21 erklärt er: „Man kann einen neuen Bahnhof nicht auf die alten Viadukte stellen.“
Matthias Bauer, Architekt und Macher des gleisdreieck-blog, bezweifelt das. Für die Nutzung der Neubauten hat er einen Vorschlag mitgebracht: Er würde die Zentral- und Landesbibliothek, die ursprünglich auf dem Tempelhofer Feld entstehen sollte, gern am Gleisdreieck unterbringen. Nicht nur die gute Verkehrsanbindung spreche dafür. „Der Park ist ein urbaner Boulevard. Bibliothek und Park würden sich wunderbar ergänzen“, meint Bauer.
Vogel wirkt nicht so, als halte er das für realistisch, verspricht aber, den Vorschlag aufzunehmen. Noch bis Ende der Woche können weitere Ideen per Mail an das Planungsbüro geschickt werden (info@urbane-mitte.de). Dann startet der städtebauliche Wettbewerb. Mit einem Baubeginn rechnen die Eigentümer in zwei bis drei Jahren. Vogel sagt: „2025 soll alles fertig sein und der S-Bahnhof in Betrieb genommen werden“.
Weitere Infos:
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz