Neues Album von Britney Spears: Eine Ikone der Fehlbarkeit
Vom Kinderstar zur keuschen Popsängerin, Skandale, Entmündigung. Nun veröffentlicht Britney Spears ihr Comeback-Album.
Als Britney Spears bei den MTV Video Music Awards 2007 im schwarzen Glitzerbikini orientierungslos über die Bühne tapste, sich verlegen die blonden Extensions aus dem Gesicht schob und zum Playback von „Gimme More“ zögernd die Lippen bewegte, musste man sich fragen, was das für ein krankes Business ist, das Musikgeschäft. Und: Was passiert, wenn einem das Leben derart entgleitet? Kann man sich davon erholen?
Heute zeigt Britney Spears, dass es einen Weg zurück gibt. Sie bringt ein neues Studioalbum heraus, „Glory“ heißt es, wohl eine Andeutung an die Weltkarriere, die sie mit 34 Jahren angestaubt im Schrank hängen hat. Spears wirkt gesund und ausgeglichen, „Glory“ könnte ihr Comeback einläuten.
Die ersten Singles „Make Me“ feat. G-Eazy und „Private Show“, stiegen in den USA gleich in die Top 10 der Charts ein. Demnächst fährt Britney bei James Cordens „Carpool Karaoke-Show“ mit, am kommenden Sonntag wird sie das erste Mal seit fast zehn Jahren bei den Video Music Awards auftreten. Zwischen 2008 und 2013 hatte Spears drei mäßig erfolgreiche Alben veröffentlichte und zog sich dann nach Las Vegas zurück, wo sie rund 200 Mal die Soloshow „Piece Of Me“ absolviert hat.
„Glory“ orientiert sich an einem elektronischen Popsound („Man On The Moon“, „Just Luv Me“), der gelegentlich von der Akustikgitarre unterbrochen wird („Just Like Me“), was die Künstlerin ungewohnt erdig klingen lässt. „Clumsy“ kratzt dagegen am Eurodance. Auch der klassische Britney-Sound bollert deutlich, etwa in „Hard To Forget Ya“, „Change Your Mind“ und „Slumber Party“. Auf „Do You Wanna Come Over“ ist außerdem ein Justin-Timberlake-Gedächtnis-Gitarrenlick zu hören, was sich durchaus als Seitenhieb verstehen lässt.
Die Neunziger waren zwar das goldene Zeitalter der Pop-Diven. Von deren Glanz ist heute wenig übrig: Die großartige Whitney Houston ist tragisch verstorben, Auftritte der Fünf-Oktaven-Diva Mariah Carey sind inzwischen eher zum Fremdschämen, Christina Aguilera hat sich weitgehend ins Parfumgeschäft verzogen, Janet Jackson macht derzeit leider keine Musik mehr, und dass auch Madonna keine Musik mehr macht, ist vielleicht gar nicht so verkehrt.
Süß, fromm und keusch
Und dann gab es da noch sie, die Pop-Prinzessin Britney Spears. 17 Jahre war sie alt, als sie in Schuluniform und mit rosa Plüschbommeln an zwei dünnen Zöpfen ihren bald weltberühmten Nabel vor der Kamera hin- und herschwenkte. Mit „Baby One More Time“ gelang ihr 1998 ein Smashhit. Es war der Start einer durchgetakteten Weltkarriere, die an Spears’ Auftritte im Disney Channel als Kind anknüpfte.
Ende der Neunziger hatten die Spice Girls den Höhepunkt ihrer Girl-Group-Karriere überschritten, und der Markt war von Boybands durchtränkt. PR-Berater agierten als deren Dompteure, stopften ihre Zöglinge in zurechtgezimmerte Images – was bei all den ausgelassen twitternden Künstlern von heute freilich nur noch eine ferne Anekdote ist. Britney Spears wurde auf süß, fromm und keusch getrimmt, das war in den USA gerade en vogue für eine junge Frau aus Kentwood, Louisiana. In Europa störte es weiter keinen. Mit ihrem nasalen Zuckerpop begeisterte sie die Massen.
Dann aber versuchte Spears das brave Mädchenimage abzuschütteln. Erst im roten Latexanzug zu „Oops, I did it again“, dann im Video zu „I’m A Slave For You“, wo sie sich stöhnend mit einer Gruppe halbnackter Backgroundtänzer in einem von der Apokalypse verschonten Plattenbau herumwälzt. 2002 trennt sich Spears von Justin Timberlake. Der will zu dieser Zeit gerade solo durchstarten und seinem Nudelhaar-Image entkommen, was er zu einem guten Teil dadurch erreicht, dass er einen enormen Bohei um die Trennung von seiner Süßen veranstaltet und die Weltöffentlichkeit daran teilhaben lässt, welchen Verkehr er genau mit ihr hatte.
Britney steht für Fehlbarkeit und Wiederauferstehung
Es folgt ein Interview, in dem Britney weint, eine Blitzehe mit einem Jugendfreund und die Hochzeit mit dem Schwiegermutteralbtraum Kevin Federline, mit dem sie zwei Kinder hat. Die Scheidung im Jahr 2006, der Sorgerechtsstreit und ein Nervenzusammenbruch. In einem Friseursalon rasiert sie sich den Schädel kahl, schlägt dann mit einem Regenschirm auf ein Auto ein. Es folgt ein Klinikaufenthalt, der besagte VMA-Auftritt, Drogenskandale und der Verlust des Sorgerechts. Schließlich wird Spears entmündigt, ihr Vater zum Vormund erklärt.
Britney Spears: „Glory“ (Sony Music)
Nun aber hat Britney gute Chancen, ein glattes Comeback hinzulegen. Ihre Fans sind älter geworden, unterstützen sie aber immer noch. Britney Spears ist zu einer Ikone geworden, gerade weil sie für Fehlbarkeit steht, aber auch für die Wiederauferstehung nach der öffentlichen Demütigung. Ihr Weg gibt Mut an schlechten Tagen – so hat sich auch das Sprichwort etabliert: Wenn Britney 2007 überlebt hat, überlebst du auch diesen einen beschissenen Tag.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“