Neuer Report zum Kohleausstieg 2050: Klimakiller-König kommt zurück

In diesem Jahr ist weltweit so viel Kohlestrom erzeugt worden wie noch nie. Trotzdem könnte der Boom langfristig zu Ende gehen.

Raucht steigt aus einer Kohlemine in Indien auf

Auch außerhalb der Kraftwerke ist Kohle ein Problem: Brand in einer Mine in Indien Foto: Supratim Bhattacharjee/Zuma Press/imago

BERLIN taz | Die Frage sorgte in den letzten Stunden der UN-Klimakonferenz von Glasgow Mitte November für einen Riesenkrach: Sollten die Staaten sich im Schlussdokument verpflichten, die klimaschädliche Verbrennung von Kohle „auslaufen zu lassen“ oder nur „herunterzufahren“? Fast alle Länder wollten den Ausstieg festschreiben, doch vor allem Indien und China setzten die verwässerte Formulierung „herunterfahren“ durch. „Diese Diskussion war nicht sehr relevant“, sagte am Freitag der Chef der internationalen Energieagentur Fatih Birol. „Denn wir lassen Kohle weder auslaufen noch herunterfahren. Wir fahren sie hoch.“

Damit fasste der IEA-Chef einen Bericht seiner OECD-Behörde zusammen, der ein düsteres Bild der globalen Energie- und Klimapolitik zeichnet: Der Verbrauch von Kohle, die mit 30 Prozent den Löwenanteil aller menschengemachten CO2-Emissionen ausmacht, hat nach einem kurzen Einbruch von 4 Prozent durch die Coronapandemie neue Rekorde erreicht. „Der globale Verbrauch von Kohle für die Stromherstellung hat nach vorläufigen Zahlen 2021 um 9 Prozent zugenommen auf über 10.000 Terawattstunden und ist auf einem historischen Höchststand angekommen.“ Der Gesamtkonsum von Kohle, also etwa auch für die Stahl- und Zementherstellung, sei um 6 Prozent angestiegen und liege damit noch unter einem historischen Hoch – aber das könne sich schnell ändern, warnt der Bericht: Wenn die Politik nicht sofort gegensteuere, sei 2022 auch ein neuer Höchststand des allgemeinen Kohleverbrauchs zu erwarten, der dann ein paar Jahre anhalten könne. „Das ist ein sehr besorgniseregender Trend“, warnte Birol. „Die Emissionen kümmern sich nicht darum, was die Regierungen sagen, oder um unser Wunschdenken.“

Dabei hatte vor allem Alok Sharma, der ehemalige britische Industrieminister und Präsident der COP26 in Glasgow, den „Anfang vom Ende der Kohle“ postuliert. „Die Kohle ist nicht mehr der König“, war einer seiner Slogans, und tatsächlich hatte Sharma eine Front gegen den dreckigen Brennstoff zusammengebracht: Über 50 Staaten verpflichteten sich zum Kohle-Ausstieg bis 2030 für Industrieländer und 2040 für Entwicklungsländer, Dutzende von Unternehmen, Städten und Banken erklärten ihre Unterstützung. Viele Länder wollen kein Geld mehr in fossile Infrastruktur fließen lassen, China keine Kohleprojekte im Ausland mehr finanzieren.

„Die Versprechen für Nullemissionen von vielen Ländern, darunter China und Indien, sollten eine sehr starke Wirkung auf die Kohle haben“, sagt Keisuke Sadamori, IEA-Direktor für Energiemärkte. „Aber wir sehen das in unseren kurzfristigen Vorschauen nicht. Da gibt es eine große Lücke zwischen Ehrgeiz und Handeln.“ Mit zwei Dritteln des weltweiten Verbrauchs treiben China und Indien immer noch den Kohleboom voran. Die frühe Erholung der Wirtschaft in China und anderswo war so stark, dass der Bedarf an Strom massiv stieg – und die Lücke konnte nicht völlig von ebenfalls stark wachsenden Erneuerbaren geschlossen werden. Gleichzeitig wurde Gas auf dem Weltmarkt so viel teurer, dass sich Kohleverbrennung sogar in der EU bei hohen Preisen im Emissionshandel wieder lohnte, fasst die IEA in ihrem Bericht zusammen. Zwar gehe in den USA und der EU der Kohleverbrauch im Trend zurück, aber der Markt in Asien floriere nach wie vor.

Keisuke Sadamori, IEA

„Da gibt es eine große Lücke zwischen Ehrgeiz und Handeln“

„Damit sind wir nicht auf einem Pfad, um das 1,5-Grad-Ziel zu schaffen“, heißt es von den IEA-Experten. Auch wenn ab sofort keine neuen Kohlekraftwerke mehr gebaut würden, könnten allein die bestehenden Kapazitäten bei normaler Leistung und Lebensdauer „etwa die Hälfte des Budgets auffressen, das die ganze Welt für die 1,5 Grad noch hat.“ Die IEA, zuständig für eine Bewertung der Energiepolitik in den Industrieländern, hat in diesem Jahr einen wegweisenden Report vorgestellt, wie die Energieversorgung der Welt aussehen müsste, um auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen. Fazit unter anderem: Neue Infrastruktur für Öl, Gas und Kohle dürfe es ab sofort nicht mehr geben. Nun kündigte IEA-Chef Birol an, man werde noch einen Schritt weitergehen. Im Sommer will die Behörde einen Plan vorlegen, wie ein Kohleausstieg weltweit bis 2050 organisiert werden könnte, um die Klimaziele zu erreichen.

Wenig überrascht von den ernüchternden Zahlen der IEA zeigt sich Jan Steckel, Professor für Klima- und Entwicklungsökonomie an der BTU Cottbus und Kohle-Experte am Mercator Institut MCC. Die Prognose der IEA sei kurzfristig und daher von den Debatten in Glasgow kaum beeinflusst. „Wir sehen jetzt und auch noch in den nächsten zwei, drei Jahren die Emissionen aus Kohlekraftwerken, die nach der Pandemie wieder hochgefahren wurden oder schon vorher geplant waren.“ In China etwa seien neue Kraftwerke gebaut worden, um der Coronarezession entgegenzuwirken.

Allerdings meint Steckel, es gebe sehr wohl positive Veränderungen: „Länder wie Vietnam, Bangladesch oder Indonesien, die Kohle bauen wollten, haben diesen Pfad weitgehend verlassen. Und wenigstens gibt es global gesehen kaum noch Wachstum bei den Kapazitäten.“ Die Erklärungen von Glasgow würden immerhin bedeuten, dass „die Finanzierung dieser Pipeline austrocknet“, so Steckel.

Tatsächlich arbeiten hier und da bereits Projekte am globalen Kohleaustieg. Eine Kooperation von USA, EU, Deutschland, Frankreich und Großbritannien will Südafrika mit über 7 Milliarden Euro dabei helfen, seine Abhängigkeit von der Kohle zu beenden. Die Idee soll als Vorbild für andere Länder dienen, um einen Ausweg aus der dreckigen und teuren Kohle zu suchen. Auch ein Vorschlag der Asiatischen Entwicklungsbank mit privaten Geldgebern geht in diese Richtung: Dort wollen Investoren Kohlekraftwerke aufkaufen und früher als geplant stilllegen – der fehlende Strom soll dann über erneuerbare Energien erzeugt werden. Noch sind das nur Pläne, aber die Zeit drängt: Manche Studien zeigen, dass für das 1,5-Grad-Ziel Kohlekapazitäten zehn bis dreißig Jahre früher als ursprünglich geplant vom Netz gehen müssten.

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