: Neue Parole: Zu Haus am 1. Mai
Hausbesetzer befürchten, daß mögliche Krawalle am Tag der Arbeit Anlaß zu Räumungen sein werden. Drei Häuser sind akut bedroht ■ Von Gereon Asmuth
„Auf eine Demo kann man ja eh kaum mehr gehen“, meint Paula, Bewohnerin des besetzten Hauses Pfarrstraße 88 in Lichtenberg. „Vor ein paar Wochen wurde ich auf dem Weg dorthin gleich vor der Haustür von der Polizei eingesackt.“ Der Häusermob, ein Zusammenschluß der nach den Räumungen der letzten Wochen übriggebliebenen besetzten Häuser, sieht dem 1. Mai mit zwiespältigen Gefühlen entgegen. „Auch wenn Innensenator Schönbohm kräftig provoziert, wir legen keinen Wert auf gewalttätige Auseinandersetzungen.“ Carlo befürchtet, daß Krawalle die Begründung für weitere Hausräumungen wären. „Schon jetzt haben wir Hinweise, daß die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain drei weitere Häuser räumen lassen will.“
Eins davon soll die Kinzigstraße 25 sein. Carlo wohnt dort zusammen mit acht Erwachsenen und fünf Kindern. Seit 1990 ist das Haus besetzt. Auf dem Hof gibt es regelmäßig Kino und Theater für Kinder. Schon zu DDR-Zeiten war auf dem Grundstück ein Jugendzentrum geplant, das der Bezirk jetzt realisieren will. „Die Gelder dafür sind aber gestrichen“, meint Carlo. So droht nach dem geplanten Abriß eine langjährige Brache des Grundstücks.
Verhandlungsangebote der Besetzer stoßen meist auf taube Ohren. „Wir würden das Haus gerne mit einer Genossenschaft kaufen, aber der neue Eigentümer redet nicht mit uns“, berichtet Renate, die in der Rigaer Straße 77 in Friedrichshain wohnt. „Als wir das Haus vor sechs Jahren besetzt haben, waren Hof und Wohnungen randvoll mit Bauschutt“, erinnert sich Renate. Damals gab es nicht nur einen Nutzungsvertrag, sondern auch Schuttcontainer von der Wohnungsbaugesellschaft. Inzwischen ist das Haus an eine Erbengemeinschaft rückübertragen worden, die von den Verträgen nichts wissen will. „Letzte Woche erhielten wir ein Schreiben, daß einen Tag später das Wasser abgestellt werden sollte, weil der Eigentümer nicht mehr dafür zahlen will.“ Die Bewohner zahlten erst mal 1.000 Mark an die Wasserbetriebe. „Strom und Gas bezahlen wir schließlich auch“, erklärt Renate. Nur den Mietwucher wolle man nicht mitmachen.
Trockenlegung drohte auch der Pfarrstraße 88 in Lichtenberg. „Ohne Vorankündigung fingen Arbeiter vor einer Woche an, unsere Zuleitung auf der Straße zu zerstören“, berichten die Bewohner. Erst nach Beschwerden beim Bezirksbürgermeister wurden die Arbeiten eingestellt. Letzten Samstag fanden die Besetzer die Leiche einer Mitbewohnerin in ihrer Wohnung. Sie war an einer Überdosis Drogen gestorben. „Wir haben mit dem Notarzt zusammengearbeitet, aber die Polizei hat die Würde unserer toten Mitbewohnerin besudelt“, beschwert sich Peter aus der Pfarrstraße. Der Gerichtsmediziner habe festgestellt, daß der Tod nicht durch Fremdeinwirkung eingetreten sei. An Stelle eines Leichenwagens sei dann aber immer mehr Polizei aufgefahren. Bewohner des Hauses seien geschlagen und auf den Boden geworfen worden. Fünf Personen wurden festgenommen.
„Egal was passiert, hier rückt immer gleich ein riesiges Polizeiaufgebot an“, berichten die Häusermobber übereinstimmend von ihren Erfahrungen. Die häufig kritisierten rechtsfreien Räume bilden die besetzten Häuser jedenfalls nicht. „Das ist nur ein Schlagwort, um uns zu kriminalisieren“, meint Carlo. „Wir wollen zusammen mit vielen Menschen andere Lebensformen bilden. Aber der Innensenator will jede Kultur, die den Regierenden nicht ins Konzept paßt, verdrängen.“ „Aber um uns zu wehren, brauchen wir kein Datum wie den 1. Mai“, ergänzt Renate. „Wir überlegen, ob wir an dem Tag nicht besser ganz zu Hause bleiben.“
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