piwik no script img

Neue Innerlichkeit

Zaghaft, zerbrechlich und leise im Wunderland: Die Berliner Band Komäit spielt „Musik für verirrte Personen“  ■   Von Gerrit Bartels

Die Songs künden von Lebenswelten, die sich in einem Paralleluniversum abzuspielen scheinen

Menschen aus Hamburg wussten es natürlich schon immer besser: Eine Hamburger Schule in Sachen songorientierter Popmusik hat es nie gegeben. In Berlin aber tut man sich schwer, überhaupt einen solchen Überbegriff zu finden oder zu konstruieren: Zu unterschiedlich sind die Sounds, zu verzweigt die diversen Szenen, und selbst der Hype um Wohnzimmerbands und Puschensounds dauerte nicht länger als eine Saison.

Ein gutes Beispiel für diese Berliner Eigenheiten ist da im Moment auch eine Band mit dem seltsamen Namen Komäit. Die hat gerade beim rührigen Kleinstlabel Lok Musik eine erste Platte mit sechs Songs veröffentlicht, bewegt sich aber musikalisch in ganz anderen Gefilden als momentane oder einstige Lok-Labelmates wie Mina, Contriva oder Joe Tabu.

Als „Zart-Core“ bezeichnen die beiden von Komäit, Chris Flor und Julia Kliemann, ihren Sound, „Musik für verirrte Personen“ durfte ihnen ein Freund auf einen ersten Waschzettel schreiben: zwei Beschreibungen, die es ganz gut treffen.

Denn ein wenig „verirrt“ fühlte man sich schon an dem Tag, als Komäit im Sommer das erste Mal live im Bastard im Prater auftraten. Da wusste man schon mit dem Begriff „Slo-Mo-Night“, mit dem ihr Auftritt als Vorgruppe einer amerikanischen Lo-Fi-Rockband auf Flyern angekündigt wurde, wenig anzufangen; da erinnerte die Atmosphäre im Bastard mit den vielen abgewetzten Sofas und Sesseln schwer an Siebzigerjahre-Teestuben und Jugendzentren; und da verbanden dann Flor und Kliemann auch ganz gekonnt die Slow Motion mit der Teestube, indem sie sitzend ihre Songs vortrugen: Mitunter zweistimmig sangen sie ihre Lieder vom kleinen Glück und großen Unglück und begleiteten sich dazu gerade mal mit Gitarre, Computer und Glockenspiel. Ganz leise, ganz zerbrechlich, ganz zart war das, ganz vorsichtig tasteten sich Komäit in ihre Songs – Chris und Julia im Wunderland.

Als Chris Flor dann noch „Boys Don't Cry“ von den Cure anstimmte, wusste man nicht nur, dass er das genau so nicht meinte, sondern auch, was hier sonst für eine Stunde schlug: die eines neuen Wimpismus, einer neuen Innerlichkeit. Und so mucksmäuschenstill, wie es war – selbst hinten an der Theke hörte man kein Gläserklappern –, wollte oder konnte sich dem niemand entziehen. (Bis auf einen Menschen, der hinter den beiden entrückt Tanzverrenkungen machte und da wohl etwas missverstanden hatte.)

War dieser Auftritt mehr die Probe auf ein altes Exempel (Chris Flor hatte früher mit seinem Bruder eine Band und wollte einfach noch mal ein paar alte Lieder live spielen), so ging danach alles ganz schnell: das Angebot, eine Platte zu machen, weitere Auftritte. Und die sechs Songs auf der 10er-EP verstärken nur die Eindrücke des Konzerts: passionierte Verträumtheit, nicht verzweifelt wirkende Zaghaftigkeit, ein echter Hit mit „A-Seite“, alles sehr zielsicher auf und neben die Spur gebracht.

Meint man einerseits solcherart Musik zumindest in Berlin schon lange nicht mehr gehört zu haben, gibt es natürlich andererseits auch bei Komäit eine Menge Gemeinsamkeiten mit anderen Berliner Bands, ob die nun Quarks oder Surrogat, Contriva oder Neoangin heißen. Denn auch ihre Songs lassen das Leben zwischen Hackeschen Höfen, Neuer Schönhauser Allee und Kollwitzplatz ein gutes und ziemlich ödes sein: Die künden von Lebenswelten, die mittlerweile in einem Paralleluniversum von Bezirken wie Mitte oder Prenzlauer Berg stattzufinden scheinen.

Und bei aller Verträumtheit und Innerlichkeit beklagen auch Komäit nicht, dass vor vier oder fünf Jahren möglicherweise alles viel, viel schöner war: Sie machen, performen und veröffentlichen einfach, und was später bei rumkommt, kann man dann immer noch sehen.

Komäit, Contriva und mp3-dj Tobi Baumgartner: heute ab 21 Uhr, Insel, Alt-Treptow 6, Treptow

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen