Marmor Stein und Eisen Brecht: Neue Gesichter
■ Eine Wortmeldung zum 100. Geburtstag
Soeben habe ich eine Sammlung der 100 Gedichte von Bertolt Brecht ediert. Ich mußte mich deshalb wieder mit der Lyrik von Brecht beschäftigen und habe dabei wieder entdeckt, daß seine Gedichte Ausdruck seines Zeiterlebens sind. Bertolt Brecht schreibt die Geschichte unseres Volkes seit 1918, und er beschreibt sie in ihren wichtigsten Stadien. Dreimal habe ich Bertolt Brecht persönlich hier in Frankfurt erlebt. Ich habe ihn von der Probe zum „Kaukasischen Kreidekreis“ abgeholt und in sein Hotel gebracht. Dabei habe ich ihn als einen sehr liebenswerten, gütigen Menschen kennengelernt, der natürlich für eines eine Leidenschaft hatte, nämlich für sein Werk und für die Betreuung seines Werkes. Wenn man sein Werk überblickt, so stellt man fest, daß es offen ist für die jeweils aktuellen Fragen der jeweiligen Gegenwart, so daß diese vermittels seines Werkes diskutiert werden. Auf diese Weise konnte er auch in literarischen Debatten unserer Zeit präsent bleiben. Seine literarischen Gestalten sind paradigmatische Figuren, die Leiden, Hoffnungen und Kämpfe des einzelnen veranschaulichen. Bertolt Brecht hat die durchschlagende Wirkungslosigkeit eines Klassikers (Max Frisch), der zu jeder Zeit ein stets neues Gesicht zeigt und dessen Potential an Fragen, Antworten, Vorschlägen und Kritik unerschöpflich ist. Siegfried Unseld, Verleger
Foto: Andreas Pohlmann
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