Neue Geflüchtetenlager in Griechenland: Der Dschungel von Samos
Die EU muss endlich einen Weg finden, humane Orte für traumatisierte, vor Krieg und Konflikt Geflüchtete zu schaffen. Und zwar jetzt.
E igentlich ist es ein Wunder, dass bisher nur das Lager Moria auf Lesbos gänzlich abgebrannt ist. Wer unter den Geflüchteten auf der Insel Samos unterwegs ist, erlebt entmutigte Väter, die Fotos von den blutig-schorfig-eitrigen Infektionen am Kopf ihres Babys zeigen. Andere, die ihren Mund weit aufsperren und auf ihre schmerzenden Zähne deuten – doch im Camp gibt es keinen Zahnarzt, der ihnen den Schmerz lindern könnte. Kleinkinder, die an einem Abhang entlanghopsen, der nur mit einem Stacheldrahtwall gesichert ist. Und diese Verzweifelten und Frustrierten werden nun auch noch wegen der Pandemie eingekesselt – ein Desaster.
Dass Einsperren die Situation verschlimmert, sollte der griechischen Regierung klar sein. Trotzdem hält sie an ihrem Plan fest und will neue Lager bauen – selbstverständlich geschlossene, eine bessere Strategie als das strikte Absperren scheint Athen nicht zu haben. Und dabei ist ihr die Europäische Union eine treue Komplizin: Migrationsminister Notis Mitarachi hat am Montag noch vor Journalisten davon gesprochen, dass im Rahmen eines EU-finanzierten Programms „geschlossene Lager“ mit Einlasskontrollen und „doppelter Umzäunung“ auf Lesbos, Samos, Kos und Leros entstehen sollen.
Aha. Das war also gemeint, als Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im September bei der Vorstellung ihrer Pläne für eine Asylreform ankündigte, „ein gemeinsames Pilotprojekt mit der griechischen Regierung auf Lesbos“ zu starten.
Da mögen Athen und Brüssel noch so viel von verbesserten Lebensbedingungen in den neuen Lagern palavern – beiden ist nicht über den Weg zu trauen, wenn es um die Leben von Migranten geht. Schließlich hätten die EU und ihre Mitgliederländer die Situation schon vorher ernst nehmen können. Immerhin lassen wir, die feinen Europäer*innen, ja schon seit Jahren Familien in Dreck und Elend leben, während wir uns gleichzeitig über die Internierungslager des US-Präsidenten Donald Trump echauffieren. Der EU-Türkei-Deal und damit der Plan, Asylanträge noch auf den griechischen Inseln zu bearbeiten, ist pompös gescheitert – zumindest wenn Menschenwürde ein tatsächlicher Maßstab sein soll.
In diesen Tagen hat auf Lesbos der Regen eingesetzt und das provisorische Zeltlager überflutet. Die EU muss einen Weg finden, humane Orte für traumatisierte, vor Krieg und Konflikt Geflüchtete zu schaffen und die Menschen mit Griechenland zusammen von den Inseln zu holen – und zwar genau jetzt. Was Winter und Pandemie zusammen in den Lagern anrichten wird, möchte man sich nicht einmal ausmalen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“