Neue Doppelspitze in der Linksfraktion: Die Suche nach dem richtigen Lot
Schaffen es Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht, die Flügel zu einen? Der erste gemeinsame Auftritt war ein Feuerwerk der Harmonie.
Hemingway schreibt über einen alten Fischer, der wochenlang aufs Meer fährt, ohne einen einzigen Fisch zu fangen. Fast wie Bartsch, der zwar noch keine Seniorenrabatte bekommt, aber ebenfalls eine ganze Weile warten musste: Seit einem Vierteljahrhundert gehört er zum Führungszirkel seiner Partei, bekleidete allerlei Ämter.
Für den Sprung nach ganz vorne aber reichte es bisher nie – bis man ihm nach Gregor Gysis Abschiedsankündigung im Sommer endlich den Job des Fraktionschefs antrug.
Nun ist Bartsch also doch noch etwas geworden. Mit 91,6 Prozent der Stimmen wählte ihn seine Fraktion am Dienstagmittag ins Amt.
Den Fraktionsvorsitz teilt er sich künftig mit Sahra Wagenknecht. Auch sie spielte in der damaligen PDS von Anfang an vorne mit, vertrat dort aber weit orthodoxere Positionen als der Pragmatiker Bartsch. Ihre Mitgliedschaft in der Kommunistischen Plattform ließ sie erst ruhen, als sie 2010 stellvertretende Chefin der Linkspartei wurde.
Für einen Platz an allererster Stelle schien sie als Hardlinerin zwar lange Zeit ungeeignet, bei der Wahl zur Kovorsitzenden der Fraktion erhielt sie nun aber 78,3 Prozent der Stimmen.
Ein ordentliches Ergebnis. Wer denkt, dass sich das neue Führungsduo damit zurücklehnen könnte, sollte aber noch mal bei Hemingway nachlesen. Als dessen Fischer nach einer halben Ewigkeit endlich Beute am Haken hat, gehen die Probleme nämlich erst richtig los: Das widerspenstige Vieh will einfach nicht klein beigeben.
In ihrem neuen Amt könnte es den beiden Fraktionschefs ähnlich ergehen. Die Streitereien zwischen den beiden Parteiflügeln in den Griff zu bekommen wird schwierig genug. Lässt das neue Führungsduo zu wenig Streit zu, wird sich das früher oder später aber auch rächen. Und wenn Bartsch und Wagenknecht das richtige Lot zwischen den beiden Flügeln finden? Dann müssen sie mit Störfeuern von dritter Seite rechnen: von denjenigen, die sich keinem der Flügel unterordnen wollen.
Der erste Auftritt
Für den Anfang konzentrieren sich die Fraktionsvorsitzenden auf Problem Nummer eins. Direkt nach ihrer Wahl eilen Wagenknecht und Bartsch am Dienstag aus dem Fraktionssaal im Reichstagsgebäude hinüber ins Haus der Bundespressekonferenz. Der erste Auftritt im neuen Amt: ein Feuerwerk der Harmonie, als hätte noch nie ein Blatt gepasst zwischen ihn und sie, zwischen den Reformer und die Parteilinke.
„Sahra und ich haben die letzten Jahre genutzt, um gemeinsam eine produktive Diskussion zu führen. In neunzig Prozent der Inhalte stimmen wir überein“, sagt Bartsch. „Wir werden unsere Rollen nicht aufteilen, sondern die Funktion der Fraktionsvorsitzenden gemeinsam ausführen“, sagt Wagenknecht. Dann listen sie im Wechsel die Klassiker des Parteiprogramms auf: Vermögensteuer für Reiche einführen, prekäre Arbeit bekämpfen, Fluchtursachen abschaffen.
Der Konsens wird betont
Die beiden setzen ein Schauspiel fort, das schon Monate dauert. Seit Gysi im Juni seinen Abschied ankündigte, seit Bartsch und Wagenknecht in den Startlöchern stehen, demonstrieren sie Eintracht. Pressemitteilungen unterschreiben sie gemeinsam, im September veröffentlichten sie ein gemeinsames Papier zur Außenpolitik. „Deutsche Rüstungsexporte sofort stoppen, keine weitere Beteiligung an Nato-Militärinterventionen“, heißt es darin. Die Strategie ist klar: den Konsens in den Vordergrund stellen, nicht die Streitpunkte.
Selbst als Bartsch kurz vor der Fraktionswahl mit seiner Listenaffäre in die Schlagzeilen kam, geriet die neue Waffenruhe nicht in Gefahr. Zur Erinnerung: Nachdem die Linkspartei vor drei Jahren einen neuen Vorstand gewählt hatte, ließ Bartsch eine Tabelle der neuen Mitglieder anlegen. Darin war auch vermerkt, wer welchem Flügel angehört. Die Parteilinken erhielten den Vermerk „L“ – wie „Lafodödel“. In normalen Zeiten hätte diese Enthüllung in Wagenknechts Lager für Entrüstung gesorgt. Da die Zeiten aber gerade besonders sind, hielten sich die Parteilinken nahezu geschlossen zurück. „Für mich ist das abgehakt“, sagte Wagenknecht am Wochenende im ZDF.
Dieser Burgfrieden dürfte nicht allen in der Partei leicht fallen. Die äußeren Umstände begünstigen ihn aber. Die großen Konflikte der Partei laufen schließlich alle auf die Frage hinaus, ob die Linken irgendwann regieren wollen – und unter welchen Bedingungen. Da eine rot-rot-grüne Koalition derzeit aber so wahrscheinlich ist wie ein Vereinigungsparteitag mit der SPD, diskutiert die Partei im Moment kaum noch über eine mögliche Regierungsbeteiligung. Für die Reformer, so scheint es, lohnt es sich derzeit gar nicht, die Parteilinken zu Kompromissen zu drängen.
Über das Regieren diskutieren
Damit sind wir bei Problem Nummer zwei, und somit zurück bei Hemingway, Bartsch und der Buchhandlung in Berlin-Mitte. Der Publizist Albrecht von Lucke stellt dort sein neues Buch vor, das „Versagen der deutschen Linken“. Der Autor redet schnell und viel, und als er zum Thema Rot-Rot-Grün kommt, wird er noch dazu laut. „Wenn eure Partei jetzt nicht über das Regieren diskutiert, dann wird das bis 2017 nichts!“, schreit er in Richtung von Bartsch und dem Belletristik-Regal.
Nun kann man sich darüber streiten, ob die Linkspartei überhaupt regieren wollen sollte. Aber eine banale Erkenntnis der Buchvorstellung bleibt so oder so wahr: Konflikte verschwinden nicht, indem die Fraktion einfach nicht mehr darüber spricht.
Da wäre zum Beispiel die Diskussion darüber, ob sich die Bundeswehr an bestimmten UN-Missionen beteiligen sollte. Als der Bundestag im vergangenen Jahr darüber entscheiden sollte, ob sich Deutschland an der Vernichtung syrischer Chemiewaffen beteiligt, stimmte Bartsch mit Ja und Wagenknecht mit Nein. In ihrem gemeinsamen Papier zur Außenpolitik ließen die beiden das Thema UN-Einsätze im September einfach außen vor. Sollte irgendwann eine neue Abstimmung anstehen, haben sie somit keinen Kompromiss parat.
Die Fraktion besteht nicht nur aus zwei Flügeln
Und damit kommen wir zu Problem Nummer drei: Als Ex-Fraktionschef Gregor Gysi noch etwas zu sagen hatte, also vergangene Woche, schrieb er seinen Nachfolgern zum Thema Kompromisse etwas ins Stammbuch. „Sahra und Dietmar müssen nicht nur einen Kompromiss zwischen sich suchen, sondern auch einen für die Fraktion“, sagte er.
Was etwas kryptisch klingt, ist im Grunde ganz einfach: Die Fraktion besteht eben nicht nur aus linkem und rechtem Flügel, sondern auch aus Abgeordneten, die sich keinem Block zurechnen lassen. Sie befürchten, nun unterzugehen, und stören sich etwa an den persönlichen Stellvertretern, die Bartsch und Wagenknecht auswählen wollten: den Reformer Jan Korte und die Parteilinke Sevim Dağdelen. Die blockfreien Abgeordneten rebellierten. Die Wahl der Stellvertreter ist auf November verschoben.
Zeit genug also, einen Kompromiss zu finden. Ansonsten könnte es den neuen Fraktionschefs rasch ergehen wie Hemingways altem Mann. Der erlegt den Fisch zwar doch noch, kann sich an seiner Beute aber nicht lange erfreuen: Die Haie um ihn herum fressen sie auf.
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