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Neu im Kino:

■ Letzte Bilder

In einem Roman von Flann O'Brien rebellieren die Figuren gegen ihren Autor: Sie beklagen sich seitenlang über ihre mangelnden literarischen Qualitäten und erobern ganze Kapitel, während der Autor schläft oder säuft. Der argentinische Film Letzte Bilder eines Schiffbruchs erzählt eine genau entgegengesetzte Geschichte. Hier trifft ein Schriftsteller, der verzweifelt nach einem Romanstoff sucht, eine merkwürdige Familie. Er beschließt über sie zu schreiben und beeinflußt sie - zuerst unbewußt und dann immer zielstrebiger — so, daß ihr Leben immer mehr seinen Fiktionen entspricht.

Aber auch er ist natürlich nur die Kopfgeburt eines Autors — des Regisseurs Eliseo Subiela — und er ahnt es: „Vielleicht sind sie und ich nur Figuren in einem Film, den ein anderer gemacht hat. Aber wer wird sich diesen Film ansehen?“

Subiela verbindet diese verschiedenen Ebenen von Dichtung und Wahrheit zu einem philosophischen, unterhaltsamen Denkspiel. Letztlich sind alle Figuren, und gerade die angeblich aus dem vollen Leben gegriffene Familie, hoffnungslos literarisch. Da gibt es einen ehemaligen Philosophiestudenten, der jeden Tag ein Wort auswählt, das er nie wieder sagen wird; einer seiner Brüder versucht, das Flugzeug neu zu erfinden; und der Kleinkriminelle Jose bittet den Autor, ihm einen großen Coup auf den Leib zu schreiben, den er dann nachleben kann.

Subiela hat seine Figuren in eine melanchlische Phantomwelt gesetzt, in der surreale Erscheinungen genauso selbstverständlich sind wie ein quälend langer Ehestreit. Jesus sitzt trotz Dornenkrone ganz entspannt auf der Kirchenbank und ißt Butterbrote; Untote fahren jeden Tag pünktlich mit dem Linienbus, und ein Paar überlebt eine Hochwasserkatastrophe auf einem schwimmenden Sofa. Dies ist ein merkwürdiger Film im besten Sinne des Wortes. So ähnlich hätte es wohl ausgesehen, wenn Bunuel einen Text von Jorge Luis Borges verfilmt hätte. Wilfried Hippen

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