: Neu aufgewärmt
■ betr.: "Umgekehrter Historikerstreit?" (Entgegnung auf Eberhard Jäckels These, Nationalsozialismus und Stalinismus seien zwar vergleichbar, aber in keiner Weise gleichzusetzen) von Christoph Buch, taz vom 3.2.92
betr.: „Umgekehrter Historikerstreit?“ (Entgegnung auf Eberhard Jäckels These, Nationalsozialismus und Stalinismus seien zwar vergleichbar, aber in keiner Weise gleichzusetzen) von Hans Christoph Buch, taz vom 3.2.92
Wie schwer sind doch Wertungen historischer Vorgänge. Die Entgegnung Hans Christoph Buchs brachte mich dazu, die Argumente der am Historikerstreit Beteiligten noch einmal nachzulesen. Dabei stellte ich fest, daß Herr Buch Aspekte der damaligen Auseinandersetzung neu aufwärmt. Allerdings serviert er sie etwas magennervenverträglicher als zum Beispiel der Historiker Nolte. Leider läßt mich der chronische Reizustand meiner Magennerven auch auf die abgemilderte Form jener doch etwas realitätsfernen, theoretisierenden Geschichtsbetrachtung reagieren (ich gehöre zu den aus rassischen Gründen, aber auch zu den durch Russen verfolgten Deutschen). Besonders wenn man zur Erhärtung der eigenen These, eine irgendwann gemachte Äußerung des jüdischen Nobelpreisträgers Brodsky benutzt, der „den schnellen(!) Tod in einem deutschen KZ dem langsamen Dahinsiechen in einem sowjetischen Straflager vorgezogen“ hätte. Gültig bleibt trotzdem, daß die in deutschen KZs und nicht nur dort) verübten Verbrechen eine spezifische Verachtung anderer Menschen aufwies, die so nur durch jene „Ungeziefertheorie“ stimuliert werden konnte. Deutsche quälten, folterten und töteten ihre Juden nicht als Gegner, Widerständler oder Feinde, sondern als „Ungeziefer“, als „Krebsgeschwüre im Volkskörper“ (Lorenz). Solche Denkweise nahm selbst kultivierten Deutschen die Gewissensnot und ließ sie, vergnügt lachend, Juden in Jauchegruben ertränken, mit dem Kiefer an Fleischerhaken oder auf dem Rücken zusammengebundenen Armen aufhängen (erfahren und beschrieben bei Jean Amery: Jenseits von Schuld und Sühne).
Natürlich will ich mit solchen Erinnerungen klar machen, warum ich, der ich den Schmerz über jene mordbrennenden Deutschen und Russen noch in den eigenen Knochen spüre, mit einem Brechreiz reagiere, wenn von Historikern oder Journalisten über jene Zeit geschrieben wird, als gelte es Negativleistungen nach irgendwelchen Wettbewerbsprinzipien zu bewerten. Schon die so oft gestellte Frage, „wo denn da ein Unterschied wäre?“, empfinde ich als Ausdruck jener Gefühls- und Ahnungslosigkeit der vorrangig verstandesmäßig Urteilenden, die Mitscherlich in seinem Buch Die Unfähigkeit zu trauern und andere zu Recht beklagt haben.
Nein, es stimmt gewiß nicht, daß Juden, wenn sie die freie Wahl gehabt hätten, lieber in den KZs der Nazis ermordet worden wären als in den Straflagern Stalins. Die Lebensbedingungen der „Vernichtung-durch- Arbeit-KZs“ in Deutschland, stehen den von Solschenizin geschilderten Lagern, zum Beispiel in seinem Archipel Gulag, nicht nach; im Gegenteil. Auch gab es für die meisten Juden keinen „schnellen“ Tod. Selbstverständlich ist es immer furchtbar, durch die Willkür machtmißbrauchender Menschen ums Leben gebracht zu werden. Aber so zu tun, als ob der qualitative Unterschied, ob man eine ganze Familie in die Gaskammer schickt, die durch Staatsdoktrin als „lebensunwert“ erklärt wurde (weil sie zufälligerweise einer bestimmten Religionsgemeinschaft zugehörte) oder ob man nach Sibirien verschickt oder erschossen wird (weil man als politischer Gegner denunziert wurde), nicht ganz gewichtig zählt, geht nicht an. Auch ich, jedenfalls wenn ich die Wahl gehabt hätte, wäre lieber von den Russen aus Rache an selbsterlittener Schmach umgebracht worden als von meinen deutschen Mitmenschen als „lebensunwertes Ungeziefer“. Darin zeigt sich schon die Unmöglichkeit einer Gleichsetzung von Tötungsursachen, auch wenn selbstverständlich keiner, weder als Soldat, Flüchtling, noch Unfallopfer umkommen möchte.
[...] Es ist richtig, daß wir bisher viel zuwenig den Stalin- oder Honecker-Terror angeprangert haben. Aber die Beurteilung historischer und menschlicher Verbrechen wird noch nicht dadurch gerechter, daß man feststellt, der andere hat ja auch.., oder man hätte sich gegenseitig „bedingt“ oder wäre in dieser oder jener Zwangslage gewesen. Wenn ich aus niederen Motiven morde, wird es jedem Richter unerheblich sein, ob der Mord nach irgendwelchem Vorbild verübt wurde oder nicht. Also enthülle man das ganze Ausmaß der Stasi-Diktatur; bestrafen wir die Mörder und die für die Morde verantwortlichen Theoretiker, aber hören wir bitte mit den Gleichsetzungen auf, die nichts anderes bewirken (sollen?) als Relativierung.
[...] Wenn die Scham über das bei uns geschehene Verbrechen so schnell Genugtuung an Artikeln mit relativierenden Vergleichen aufkommen läßt —denn das bewirken solche Artikel erfahrungsgemäß ja—, muß man mir Zweifel an dem Bewußtsein über das wahre Ausmaß der auf unserem Boden begangenen Verbrechen gestatten.
Ich bestreite nicht, daß Menschen überall auf der Welt sich gleichen und demzufolge auch zu gleichem Sadismus fähig sind. Das betrifft Christen und Juden, genauso Weiße und Schwarze oder Russen und Deutsche. Aber der eine Sadismus wird nicht durch den anderen „bedingt“, sondern allein durch die Denkweise und den jeweiligen Charakter des Täters „verantwortet“! Deshalb kann man nur intellektuell und hypothetisch die Herzlosigkeit der NS-Denkweisen und die daraus resultierenden Verbrechen mit den Verbrechen anderer Diktatoren vergleichen, aber doch niemals „gleichsetzen“. Das verbietet eben der „qualitative“ Unterschied der Verbrechen, auf den ja selbst Hans Christoph Buch in seinem Artikel hinweist. Aus diesem Grund hat Eberhard Jäckel mit seiner These recht, daß man Nationalsozialismus und Stalinismus zwar vergleichen, aber nicht gleichsetzen darf. Michael Wieck, Stuttgart
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