Kommentar: Neu – Oskar spricht!
■ Statt einer zünftigen Abrechnung gibt's nur Poesie und wolkige Kritik
Drei Tage lang hatte Oskar Lafontaine die Medien hingehalten. Gestern nun, so die Überschriften, „brach er sein Schweigen“. Tat er es wirklich? Was Lafontaine in die Mikrofone sagte, ist nicht dazu angetan, Klarheit zu schaffen. Er bemängelte den fehlenden Teamgeist im Kabinett, vermied ansonsten jeden konkreten Vorwurf an die Adresse einzelner Personen. War mehr zu erwarten gewesen?
Gemessen an dem abrupten Abgang, den er wählte, sicherlich. Lafontaine aber verweigerte sich dem Verlangen der Medien, die es nach einer Abrechnung mit Schröder dürstet.
Selbstbeherrscht vermied er jede offene Kritik an seinem Widersacher, spielte mit Selbstdisziplin jene Rolle zum Wohle der Sache weiter, die er sich nach der Wahl in Niedersachsen selbst auferlegt hatte. Das alles aber will nun gar nicht mehr passen zur Art und Weise, wie er sich aus dem politischen Leben zurückgezogen hat. Zu sehr ist er, der 30 von 33 Jahren seines politischen Lebens in Spitzenämtern war, mit der Kunst der Vieldeutigkeit vertraut. Die professionelle Deformierung der Sprache, die fast alle Spitzenpolitiker praktizieren, ist auch ein Schutzmantel gegen die Wißbegierde der Medien. Lafontaine war davor nicht weniger gefeit als andere. Als ihm dämmerte, daß er ewiger Zweiter bleiben würde, pflegte er sie um so ungehemmter. Man sei wie Zwillinge, erklärte er kurz nach der Bundestagswahl auf einer Pressekonferenz, und dem neben ihm sitzenden Schröder entfuhr ein zweifelndes „Naja“. Solche Momente sagen mehr aus als die Allgemeinplätze, die im täglichen Geschäft zur Verkleisterung von politischen Gegensätzen und menschlichen Antipathien gebraucht werden. So wird Politik zum Feld der Auguren. Es gilt nicht mehr, was gesagt, sondern was nicht mehr gesagt wird.
Es ist also nicht so sehr das, was Lafontaine bislang gesagt hat, was die Szenerie am Kabinettstisch erhellt. Es ist vielmehr das, was er getan hat. Der Saarländer wollte den Niedersachsen nicht mehr ertragen. Andere vor ihm – wie Willy Brandt mit Helmut Schmidt – hatten ebenfalls Rechnungen zu begleichen. Sie blieben aber im Bundestag und ertrugen sich gegenseitig. Das wollte, konnte Lafontaine nicht mehr. Insofern ist es fast schon gleichgültig, was Lafontaine künftig sagen wird. Sein Abgang war konkreter, deutlicher und klarer als alle Worte, die er gestern gebrauchte. Severin Weiland
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