: Nepals Gottkönig auf der Flucht nach vorn
■ Absoluter Monarch Birendra beugt sich dem Wunsch seiner Untertanen nach Demokratisierung
Nach wochenlangen blutigen Auseinandersetzungen zwischen Oppositionsgruppen und Sicherheitskräften hat Nepals Monarch Birendra dem Druck der Straße nachgegeben: Am späten Sonntag abend hob er nach einem Gespräch mit Oppositionspolitikern das seit 30 Jahren bestehende Verbot politischer Parteien auf. Am Montag wurde die am Samstag verhängte Ausgangssperre über Katmandu wieder rückgängig gemacht. Zehntausende setzten bereits Sonntag nacht das Ausgehverbot außer Kraft. Rund 90 Demonstranten sollen am Wochenende im ganzen Land getötet, über 250 verletzt worden sein.
Zehntausende jubelnder Menschen haben am Montag in der nepalesischen Hauptstadt Katmandu nach der Beendigung einer zweitägigen Ausgangssperre die von König Birendra am Vortag angekündigte Aufhebung des seit 1961 bestehenden Parteienverbots gefeiert. Am Morgen versammelten sich die Menschen zu Fuß, mit Autos und mit Rikschas auf den Straßen Katmandus, um die Erklärung Birendras zu feiern. Immer wieder riefen sie: „Sieg! Sieg!“
Die am späten Sonntag abend im staatlichen Fernsehen bekanntgegebenen Konzessionen des Monarchen wurden von der Bevölkerung mit großer Begeisterung aufgenommen. Sofort nach der Sendung, kurz vor Mitternacht, strömten die Einwohner der Hauptstadt, noch vor der faktischen Aufhebung des Ausgehverbots, auf die nächtlichen Straßen, sangen, pfiffen, klatschten in die Hände und trommelten auf ihre Kochtöpfe. Die Freudenkundgebungen wurden manchem zum Verhängnis: Nach Augenzeugenberichten erschossen im Laufe der Nacht zum Montag Regierungstruppen mindestens zehn Menschen. Die Soldaten hätten in drei verschiedenen Gebieten der Hauptstadt das Feuer eröffnet. Auch ein zwölfjähriger Junge wurde erschossen. Die Leichen seien später von den Sicherheitsbeamten weggeschafft worden. Ärzte an einem Krankenhaus teilten mit, fünf Menschen hätten wegen Schußwunden behandelt werden müssen.
Der Führer der bisher verbotenen Kongreß-Partei, Ganesh Man Singh, grüßte seine Anhänger vom Krankenbett aus. „Unsere Verantwortung ist gewachsen. Der Kampf für Demokratie war hart. Es wird aber noch schwieriger sein, die Demokratie zu erhalten.“ Nach der am Sonntag im Fernsehen verlesenen Erklärung König Birendras soll der Begriff „parteilos“ aus der Präambel der Verfassung gestrichen werden. Außerdem wurde die Aufhebung eines Dekrets angekündigt, das politische Parteien verbietet. Zuvor hatten Vertreter der Opposition und Birendra stundenlang im Königspalast verhandelt. Ein Regierungsvertreter teilte mit, daß der wie ein Gottkönig verehrte Monarch, dessen Familie Nepal in Erbfolge seit zwei Jahrhunderten regiert, sich bereit erklärt habe, nach europäischem Vorbild eine konstitutionelle Monarchie einzurichten. Er werde jedoch nicht ganz auf seine konstitutionelle Macht über die 18 Millionen vorwiegend der Hindu-Religion zugehörigen Nepaleser verzichten.
Außenminister Pashupati Rana hatte am Sonntag nach wochenlangen, zum Teil blutigen Auseinandersetzungen mit der Opposition baldige Neuwahlen zur Nationalversammlung angekündigt. Ein genaues Datum nannte er aber nicht. Die Opposition versprach daraufhin, ihre seit 50 Tagen andauernden Proteste einzustellen. Vor dem Treffen des Königs mit den führenden Oppositionspolitikern war es am Sonntag erneut zu Demonstrationen gekommen, als die Behörden die am Samstag verhängte Ausgangssperre für eine Stunde aufhoben, um der Bevölkerung Gelegenheit zum Einkaufen der notwendigsten Lebensmittel zu geben. Armeesoldaten hätten Gruppen von Jugendlichen und Mitglieder der verbotenen Parteien mit Waffengewalt vertrieben, berichteten Augenzeugen. Am Freitag hatten etwa 200.000 Menschen in Katmandu für mehr Demokratie demonstriert. Die Auseinandersetzungen vom Freitag hatten die Hauptstadt in ein Kriegsgebiet verwandelt. Der Palast konnte nur gehalten werden, indem die Armee zur Hilfe gerufen und eine Ausgangsspere verhängt wurde. Als die Menge zum Königspalast marschieren wollte, wurde scharf geschossen. Nach Mitteilung der Behörden wurden zehn Menschen getötet und 107 verletzt. Augenzeugen sprachen dagegen von über 200 Toten.
Die Demonstrationen und Streiks für mehr Demokratie, die am 18. Februar begonnen hatten und bei der Massenkundgebung am Freitag ihren Höhepunkt erreicht hatten, weiteten sich am Wochenende auch auf Städte und Dörfer im Süden Nepals aus. So wurden Demonstrationen unter anderem aus den südlichen Städten Janakpur, Jhapa und Chitwan gemeldet. Der am Samstag geschlossene Flughafen wurde am Sonntag wieder geöffnet. Etwa 10.000 ausländische Touristen sollen sich zu dem Zeitpunkt noch im Himalayakönigreich aufgehalten haben. Trotz der Beruhigung der Lage in Nepal nach den blutigen Unruhen der letzten Tage wollen etwa 500 deutsche Touristen das Land so schnell wie möglich verlassen. Ein Sprecher der Lufthansa teilte am Montag in Neu-Delhi mit, die Lufthansa -Tochter Condor werde im Laufe des Tages 245 Passagiere ausfliegen.
Bereits am Vortag waren 84 deutsche Touristen mit indischen und nepalesischen Maschinen nach Delhi transportiert worden. Am vergangenen Samstag mußte eine Condor-Maschine mit deutschen Touristen, die sich auf dem Weg nach Nepal befand, nach einer Zwischenlandung in den Arabischen Emiraten wieder umkehren. Berichte, nach denen bei den Unruhen drei Deutsche verletzt worden sein sollen, haben sich bislang nicht bestätigt.
ap/afp
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen