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Naturtheater fragmentarisch

■ Madernas Oper „Satyricon“ in der Musikhochschule inszeniert

Klangcollagen, Improvisation und frei kombinierbares Material, unterstützt von Elektronik und Tonband kennzeichnen grob die Musik Bruno Madernas (1920-1973), der zur Geneartion von Nono und Boulez gehört. Die Oper Satyricon, die Maderna in seinem Todesjahr fertigstellte, ist buchstäblich das Endergebnis einer geschichtlichen Entwicklung, die Oper nicht mehr möglich macht.

Holger Müller-Brandes behandelt die Oper in seiner Diplom-Inszenierung im Forum der Musikhochschule mit Konsequenz: Die Bühne wird zur Zirkusmanege, hat keine perspektivische Tiefe, sondern ist bloße Fläche. Ein Zustand der Entropie gleichsam, den man als Publikum gerne umfassen und aufhalten möchte, wenn man nicht unwillkürlich selbst Teil der Oper wäre - nur eine Kordel trennt hier von der Bühne. Madernas Oper ist ganz und gar fragmentarisch - auch konkretisiert in dem Programmheft als Loseblattsammlung. Die Zusammenstellung der einzelnen Passagen überläßt der Komponist den Aufführenden, die ihre Rollen auch so behandeln, als stünden sie jeder alleine da; eine Handlung im herkömmlichen Sinn und somit auch Haupt- und Nebencharakter gibt es, bis auf Trimalchio (Frieder Stricker), nicht.

Mit dem Text nach Petronius, der seinen Schelmenroman Satiricon zu Zeiten Neros schrieb, operiert die Oper im geschichtlich Epochalen: die Dekadenz von damals soll der heutigen als Spiegel vorgehalten werden. Daß diese Anklage von Maderna als „politischer Akt“ gemeint ist, zeigt die Aufführung kaum. Sie subjektiviert Schicksal und überläßt die Mitwirkenden der Dekadenz. Sie spielen wirklich das, was sie ihrer Natur nach sind, Naturtheater, etwas anderes traut Maderna ihnen auch nicht zu. Daß Satyricon den Bogen vom Untergang Roms bis zur Wirtschaftskrise Italiens Anfang der 70er schlägt, bleibt außenvor. Aber gerade diese politische Blindheit verleiht dem Stück die Ehrlichkeit bürgerlicher Kultur. Nur eine Figur bricht hier heraus, die Wolfang Kramer mit hervorzuhebendem Ausdruck spielt: Niceros, der, Kafkas Landvermesser verwandt, die Oper mit Meßlatte abschreitet. Maderna, der 1950 Studien zu Franz Kafkas ,Prozeß' komponierte, mag in der Fünfsprachigkeit seiner Oper vielleicht an das Gemurmel gedacht haben, was der Landvermesser beim Telefonat mit dem Schloß hört.

Roger Behrens

Vorstellungen: 12., 14. , 16., 17. Dez., jeweils 20 Uhr, am 19. Dez. um 16 Uhr, Musikhochschule

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