: Nationalismus erstickte die Revolution
Der Historiker Wolfgang Wippermann zieht Parallelen zwischen der erfolglosen Märzrevolution 1848 und der erfolgreichen Nicht-Revolution 1989. Beidesmal verdrängte das Nationalgefühl die revolutionäre Begeisterung ■ Von Ralph Bollmann
Eines haben die Revolutionäre von 1848 den Ostdeutschen von 1989 voraus: Sie haben eine Revolution gemacht und nicht bloß eine Wende. Das jedenfalls meint der Historiker Wolfgang Wippermann, als er am Montag abend in der Urania die Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Ereignisse analysierte. Die Idee zu diesem Vergleich stammte jedoch, wie er freimütig einräumte, nicht von ihm. Daß 1989 gelang, was 1848 gescheitert war, ist fast zum Gemeinplatz geworden. Auch Wippermann bestritt nicht, daß die Revolution von 1848 erfolglos, die Nicht-Revolution von 1989 hingegen erfolgreich war.
Daß im Jubiläumsjahr die „Spätzlesfresser“ im Südwesten die Märzrevolution vereinnahmen, ist für Wippermann ungerecht – habe doch die „klassische Revolution“ erst in Berlin stattgefunden. Neben der harten Haltung des preußischen Militärs und des „Kartätschenprinzen“ führte dabei auch der Zufall Regie. Barrikaden bauten die Berliner erst, als am 18. März auf dem Schloßplatz jene berühmten beiden Schüsse fielen.
Für einen kurzen historischen Augenblick lag die Macht „auf der Straße“, doch das Volk sang „Jesus meine Zuversicht“ und verlangte von seinem König Friedrich Wilhelm IV. lediglich: „Hut ab!“ Doch nach Ansicht von Wippermann hätten die Revolutionäre „den König wenigstens gefangennehmen, wenn nicht gar hinrichten“ sollen. Immerhin mußte Friedrich Wilhelm die politischen Gefangenen aus dem Moabiter Gefängnis entlassen, der „Berliner Bastille“. Darunter waren vor allem polnische Aufständische. An jenem 20. März standen also nach Wippermanns Ansicht die Chancen nicht schlecht, daß es „eine europäische Revolution hätte werden können“.
Doch tags darauf ritt der König durch Berlin und verabreichte die „Droge Nationalismus“, indem er verkündete: „Preußen geht fortan in Deutschland auf.“ Um seine These nicht zu gefährden, verzichtete Wippermann vorsichtshalber darauf, zwischen der rückwärtsgewandten Reichsidee des verspäteten Romantikers Friedrich Wilhelm und dem modernen bürgerlichen Nationalismus zu unterscheiden. Doch war zu diesem Zeitpunkt noch nicht alles verloren.
Auf die Märzrevolution folgte die „Aprilrevolution“. In Frankfurt konstituierte sich das „Vorparlament“, dem auch Wippermanns Urgroßvater angehörte. „Realitätsblind, blauäugig und spießbürgerlich“, wie die Deutschen nun einmal sind, versäumten sie es vor lauter idealistischem Legitimitätsdenken, energisch nach dem Mantel der Geschichte zu greifen. Durch die Wahl der Nationalversammlung verloren sie wertvolle Zeit – ein Vorgang, der sich 1918/19 ebenso wiederholen sollte wie 1989/90, als der CDU-Sieg bei der Volkskammerwahl jeden revolutionären Elan endgültig erstickte. Fortan stritten die Parlamentarier vor allem darüber, wer Deutscher sei, und entschieden sich schließlich für das Konzept der „Blutsnation“. Damit war „die Chance vertan, die Revolution zu internationalisieren“. Die Revolution „scheiterte, weil das Blutsprinzip siegte“. Eine solche „Wende in der Wende“ machte Wippermann auch 1989/90 aus. Der 4. November war für ihn „der Höhepunkt dessen, was man vielleicht als Revolution bezeichnen kann“. Doch die „Ironie der Geschichte“ wollte es, daß die Maueröffnung am 9. November diesen Ansätzen ein Ende bereitete. „Das Nationalgefühl verdrängte die revolutionäre Begeisterung“, aus „Wir sind das Volk“ wurde „Wir sind ein Volk“.
Zuvor hatte Wippermann noch gehofft, daß sich die Ereignisse zur „europäischen Revolution“ auswachsen. Doch die Westdeutschen „beschränkten sich aufs Fernsehschauen“, und Wippermanns Studenten an der Freien Universität waren „nur am Erwerb ihrer Scheine interessiert“. Gleichwohl sprach mancher im Nachhinein von einer „Revolution“. Der Sozialphilosoph Jürgen Habermas katapultierte die Deutschen mit dem Wort von der „nachholenden Revolution“ auf die „Überholspur der Geschichte“, andere sprachen von der „volkseigenen“ oder „protestantischen“ Revolution.
Größere Berührungsängste mit dem Revolutionsbegriff haben naturgemäß die Konservativen. Wolfgang Schäuble mied ihn in seinem Wende-Rückblick, weil Revolutionen für ihn stets „links und gewalttätig“ sind. Von Berührungsängsten nicht frei ist nach Wippermanns Ansicht auch der Senat in seinem Gedenken an die Revolution von 1848. Vielleicht wolle ja Exgeneral Jörg Schönbohm erst am 10. November so richtig feiern. Dann jährt sich der Einmarsch des Generals Wrangel zum 150. Mal. Er versetzte der Berliner Revolution endgültig den Todesstoß.
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